Zwei Bücher zum Fitwerden
Fit wie ein Turnschuh
Die Deutschen werden immer älter – und wollen trotzdem möglichst gesund bleiben. Am besten hilft dabei Bewegung. Gleich zwei Titel von der Bestsellerliste versprechen Hilfe dabei. Aber taufen sie auch was?

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So wird das nix mit einem gesunden Alter!
Von Markus Reiter
Vor ewigen Zeiten gab es in vielen Haushalten dicke Nachschlagewerke mit Titeln wie „Das große Buch der Gesundheit“ oder „Der Medizin-Ratgeber für daheim“. Man hatte sie irgendwann einmal beim Bertelsmann-Buchclub bestellt, um zu verhindern, dass einem stattdessen der neueste Roman von Uta Danella unaufgefordert ins Haus geschickt wurde. Solche Bücher waren herrliche Lektüre für verregnete Tage. Man saß auf dem Sofa, blätterte sich durch das Lexikon, schaute sich die Anatomietafeln an, manchmal auch die Fotos krankhafter Hautveränderungen, und blieb schließlich bei der Nasennebenhöhlenentzündung, beim Caroli-Syndrom (bekanntermaßen eine zystische Dilatation der intrahepatischen Gallengänge) oder im schlimmsten Falle beim Pankreaskarzinom hängen. Und plötzlich wurde einem ganz schummerig: Waren das nicht exakt jene die Symptome, die man gerade in diesem Augenblick verspürte?
Gesundheit als Rettungsboot der kriselnden Ratgeber-Verlage
In Zeiten des Internets, von Wikipedia und ChatGPT, könnte man nun vermuten, die hohe Zeit solcher Art Gesundheitsbücher sei vorbei. Schließlich kann man sich auf seinem Handy innerhalb von Sekunden über die abseitigsten Krankheiten informieren und anschließend seine Hausärztin darüber belehren, dass man wegen genau dieser Krankheit sofort behandelt werden müsse.
Aber das scheint ein Irrtum zu sein. Das Thema Gesundheit ist offensichtlich das letzte Rettungsboot einer in schwere Wasser geratenen Sachbuch-Ratgeber-Verlagsindustrie. Der demografische Wandel spielt diesem Geschäft in die Hände. Je älter Menschen werden, desto hingebungsvoller widmen sie sich dem Thema ihrer Gesundheit.
Seit vielen Wochen steht daher der Ratgeber-Rundumschlag „Genial vital. Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung“ (Spiegel-Bestseller Sachbuch Hardcover Platz 6, Droemer, 400 Seiten, 20 Euro) der Dermatologin Dr. Yael Adler auf der Bestsellerliste. Die Autorin hat in ihren bisherigen Büchern Patienten über Hautkrankheiten und andere Tabuthemen (Sex!) aufgeklärt. In erstaunlich schlichter Aufmachung (Bücher dieser Umschlag- und Papierqualität gab es früher bei Karstadt auf dem Ramschtisch) verspricht Dr. Adler ihren Leserinnen und Lesern nun im jüngsten Werk preiszugeben, worauf man achten müsse, um bis ins hohe Alter fit zu bleiben - vorausgesetzt, man ist es bereits.
Jedes Zipperlein wird verhandelt
Dabei geht sie weit über ihren dermatologischen, venerologischen und phlebologischen (da geht’s um Blutgefäße) Fachbereich hinaus. Sie streift von Zellalterung über Cellulite und Prostataverhärtung bis zum Reizdarm so ziemlich jedes Zipperlein, das einen Menschen mit steigendem Lebensalter heimsuchen kann. Die kurzen Kapitel sind flott lesbar, gut verständlich und hinreichend wissenschaftlich gesichert. Allerdings verraten sie einem nicht viel mehr, als eine Anfrage an ChatGPT auch ergeben würde.
Über Muskeln zum Beispiel finden sich bei Dr. Adler knapp acht Seiten, die in den Rat münden, sie zu dehnen, Proteine zu essen, Vitamin D-3 zu sich zu nehmen, hin und wieder zu joggen und Krafttraining zu machen. Das hatte man hoffentlich schon vorher geahnt. Möglicherweise gibt es zu diesem Thema aber nicht viel mehr zu raten. Der Sportwissenschaftler Professor Dr. Ingo Froböse bekommt in seinem Buch „Muskeln. Die Gesundmacher. So bleiben wir fit, schlank und mental in Balance“ (Spiegel-Bestseller Sachbuch Paperback Platz 7, Ullstein, 19,99 Euro) auf 320 Seiten nämlich auch nicht sonderlich mehr Tipps zusammen. Dafür erfährt der Leser eine ganze Menge darüber, wie unser Körper funktioniert und welche Rolle die Muskeln dabei spielen. Zum Beispiel sind sie nicht nur dazu da, Arme, Beine, die Augen und das Herz zu bewegen. Vielmehr stellen sie das größte endokrine Organ des Körpers dar. Sie schütten also reichlich Hormone aus. Diese Myokine genannten Botenstoffe beeinflussen den Stoffwechsel, stärken das Immunsystem, wirken Diabetes entgegen, hemmen Entzündungen, verbessern das Gedächtnis, fördern die Neubildung von Blutgefäßen, verlangsamen Alzheimer-Prozesse und spielen nach neuesten Erkenntnissen sogar in der Krebsbekämpfung eine große Rolle.
Was hilft? 150 Minuten Bewegung pro Woche
Umso besorgniserregender ist es, dass in Deutschland 44 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer nicht einmal das Mindestmaß an Bewegung erfüllen, das die Weltgesundheitsorganisation vorschlägt, nämlich rund 150 Minuten in der Woche. Mit erheblichen Folgen: Sarkopenie, der krankhafte Muskelschwund, setzt bereits ab Mitte 40 ein – wenn man ihm nicht entgegenwirkt.
Froböses Buch ist nichts für Leute, die mal eben ein paar Trainingstipps für ihre Muskeln suchen. Dafür steigt er zu tief in die Materie ein und erläutert anspruchsvoll, wenn auch durchaus verständlich die komplexen biochemischen Prozesse im Körper, an denen die Muskeln beteiligt sind. Für einen verregneten Nachmittag auf dem gemütlichen Sofa kann man sich dieses Gesundheitsbuch dennoch vornehmen. Vorausgesetzt, man rafft sich danach auf und bringt seine Muskeln endlich mal wieder ordentlich in Bewegung.