Neu im Kino: „Black Box“
Gefährlicher Alltagsrassismus
Im Kinofilm „Black Box“ wird mit Ängsten gespielt. Die Hauptdarstellerin Luise Heyer erzählt, was sie daran reizt.

© epd/Emre Erkmen
Henrike (Luise Heyer) im Drama „Black Box“
Von André Wesche
Eine Immobilienfirma lässt ein Mehrfamilienhaus aus unerfindlichen Gründen von Spezialkräften der Polizei abriegeln. Auf diesem Nährboden lässt Asli Özge in ihrem Film „Black Box“ Rassismus, Vorurteile und Separatismus gedeihen. Die Hauptrolle der Henrike übernahm Luise Heyer. Wir sprachen mit der 38-jährigen über ihre Sicht auf die zentralen Themen des Filmes.
Frau Heyer, was hat Sie daran gereizt, Teil dieses Ensembles zu werden?
Genau das: Dass es ein Ensemblefilm ist. Diese Grundidee, dass eine Hausgemeinschaft ohne ersichtlichen Grund von einer Polizeiabsperrung betroffen ist und nicht weiß, warum. Und das, was sich daraus entwickelt. Wie Menschen – oder in dem Fall, die deutsche Mittelschicht – auf so eine diffuse Angst reagiert. Wie Angst an sich benutzt wird, um Menschen zu manipulieren. Wie Angst dafür sorgt, dass man Vermutungen anstellt und vorzeitige Schuldzuweisungen von sich gibt. Das fand ich an dem Drehbuch sehr spannend. Das ist etwas, was man in diesem Film in Groß und in Klein beobachten und womit jeder etwas anfangen kann.
Es geht um die Spaltung der Gesellschaft. Nehmen Sie eine solche in Ihrem Umfeld wahr?
Nein, aber vielleicht lebe ich auch in meiner eigenen Blase. Obwohl das so auch nicht ganz stimmt. Es ist schon so, dass sich gefühlt viel mehr Menschen positionieren wollen. Das Gefährliche, was ich daran wahrnehme – so wie es der Film auch zeigt – ist, dass Behauptungen schnell als Tatsachen genommen und wiedergegeben werden, ohne dass sie noch mal untersucht werden.
In „Black Box“ treibt ein Unternehmen die Gentrifizierung voran. Sehen Sie diese nur kritisch, oder können Sie ihr auch positive Seiten abgewinnen?
Na ja. Altbauten werden saniert und neue Laternen aufgestellt. Es wird aber auch stiller in den Vierteln. Ich komme aus dem Prenzlauer Berg, und dort ist es ganz anders als damals, als ich dort aufgewachsen bin. Das kann man gut oder schlecht finden. Mir ist schon bewusst, dass es immer weitergeht und Dinge sich ändern. Das ist sicherlich auch gut. Es gibt aber etwas in mir, das eine Sehnsucht danach hat, etwas kindlich Vertrautes wieder zu erfahren. Diese Gentrifizierungssache ist ein sehr durchgesprochenes Thema. Ich kann mich anpassen. Ich habe nicht das Problem, dort wegzuziehen, weil es auch gar nicht mehr der Ort ist, an dem ich groß geworden bin. Ich wohne da auch nicht mehr. Wer mir aber leidtut, sind die Menschen, die 50 Jahre in derselben Wohnung gelebt haben und dann ausziehen müssen, weil sie jetzt Eigentum sind. Die Älteren, die mittlerweile auch schon 70 Jahre alt sind. Am Prenzlauer Berg wohnen nicht mehr viele alte Leute. Es gibt schon eine sehr einheitliche Altersstufe. Vielleicht hat sich das auch wieder geändert, ich bin nicht mehr so häufig dort.
Ein wichtiger Aspekt der Filmgeschichte ist Alltagsrassismus.
Das zeigt „Black Box“ sehr eindrucksvoll. Es passiert etwas. Es findet diese Absperrung statt. Man weiß nicht, warum. Der neue Hausbesitzer oder Verwalter schürt eine Angst. Sofort werden die Menschen verdächtig, die anders sprechen, anders aussehen und sich nicht dem Gefüge unterordnen. Keiner der Hausbewohner würde sich als rassistisch bezeichnen, aber fast alle sind es. Durch Henrike, unter anderem, kann man diesen „versehentlichen“ Rassismus sehen. Der, der ja nicht so gemeint ist, wie dann oft gesagt wird, aber auch nicht anders verstanden werden kann. Der gefährlich ist, weil er auch so unreflektiert verteidigt wird.
Regisseurin Asli Özge bezeichnet die Angst als eine der größten Plagen unserer Zeit. Sind Sie in den letzten Jahren auch ängstlicher geworden?
Ich weiß nicht, ob ich insgesamt ängstlicher geworden bin, aber ich habe schon eine Angst an mir entdeckt, die ich vorher nicht kannte. Die mich wie überwältigt hat und durch die ich auch erst mal wie in einen innerlichen Stillstand kam. Zum Beispiel mit der ersten Coronawelle und den dadurch leer geräumten Regalen. Das ging sehr an meine Urängste. Der Klimawandel. Krieg. Die Spaltung der Gesellschaft. Die Endlichkeit. Es gab zwei Teile in mir, die sich abwechselten. Die Überwältigung. Und die Resignation. Zwischendurch die Wut, der Aktionismus und dann der Versuch, konstruktiv zu werden und das zu leisten, was ich kann, um das Leben für alle nach mir lebenswert zu lassen oder zu machen. Immer im Wechsel. Am Ende ist aber die Fürsorge das, was mich am meisten motiviert, meine Gewohnheiten und meine Denkstrukturen zu hinterfragen und zu versuchen, immer offen zu bleiben und weiter zu lernen.
Glauben Sie, dass Sie ziemlich frei von Vorurteilen gegenüber anderen Menschen sind?
Nein. Das bin ich auf jeden Fall nicht. Ich erinnere mich daran, dass Menschen immer eingeordnet wurden und ich als Kind das einfach mit aufgenommen habe: Der ist so und dieser so. Und obwohl ich mich als Kind schon gefragt habe, wie das sein kann und die Erwachsenen das wissen können, habe ich das nicht weiter hinterfragt. Das kam bei mir dann aber irgendwann als Erwachsene zurück. Aber ich sehe mich selbst immer noch und immer wieder mit meinem In-Schubladen-Denken konfrontiert. Bei Henrike kann man das sehr schön beobachten und daran teilhaben, wie ihre Vorurteile und ihr Einordnen sie in eine Lage bringen, die sie, am Ende so klar vor Augen, niemals gewollt hätte. Und die ihr ihre eigenen Unzulänglichkeiten aufzeigen: vorverurteilen und keine Kommunikation. Gefangen in ihrer Angst. Auf Autoritäten unhinterfragt hören. Nicht eine eigene Meinung bilden, sondern die andere als Wahrheit übernehmen.