DFB-Elf bei der EM

Ann-Katrin Berger: Heldin wider Willen

Die deutschen Fußballfrauen stehen im EM-Halbfinale – dank Elfmeterkillerin Ann-Katrin Berger, die hinterher den nächsten beeindruckenden Auftritt hinlegt.

Freude pur: Nationaltorhüterin Ann-Katrin Berger am Samstagabend in Basel.

© IMAGO/Sven Simon

Freude pur: Nationaltorhüterin Ann-Katrin Berger am Samstagabend in Basel.

Von Marco Seliger

Ein paar Fragen noch, dann ist der Interviewmarathon vorbei. Ann-Katrin Berger, die gefeierte deutsche Nummer eins, kommt sinnigerweise um 1.01 Uhr nachts auf das Pressepodium in Basel. Sie ist offiziell die Spielerin des Spiels (alles andere wäre einem Treppenwitz gleichgekommen), weshalb sie nach dem Protokoll der Europäischen Fußball-Union (Uefa) neben dem Bundestrainer am Ende nochmals Rede und Antwort stehen muss auf der offiziellen Bühne. Dabei hat Berger vorher schon alles gesagt. Sie hat in jedes Mikrofon, jedes Smartphone und in jeden Notizblock gesprochen ein Stockwerk tiefer in der zur Interviewzone umfunktionierten riesigen Garage des St. Jakob-Parks in Basel. Drei Fragen, mehr nicht, das also ist um 1.01 Uhr die Ansage der DFB-Pressesprecherin auf dem Podium. Nachvollziehbare Begründung: Die Spielerin des Spiels müsse ja irgendwann auch mal duschen.

Ob die Teamkolleginnen ihrer Torhüterin, die als Letzte in die Kabine gekommen ist, am Ende ein paar Pizzastücke übrig ließen, die es als kulinarische Belohnung nach dem dramatischen Einzug der DFB-Elf ins EM-Halbfinale durch das 6:5 im Elfmeterschießen gegen Frankreich gegeben hat, ist nicht überliefert. Sicher ist: Berger hätte sich nach ihrer famosen Leistung eine Familienpizza allein verdient. Mindestens.

Also kurz rein ins Berger-Festspiel von Basel am Samstagabend, dessen letzter Akt so abgelaufen ist: Um kurz vor Mitternacht beginnt das Elfmeterschießen, es wird offiziell schon Sonntag sein, als es enden wird. Berger pariert zwei Elfer. Und sie tritt zwischendurch als fünfte deutsche Schützin bei Gleichstand selbst an. Mehr Druck geht nicht. Die gebürtige Göppingerin meistert ihn. Sie schießt (und faustet) den Druck einfach weg.

Später spricht sie über die Trinkflasche, auf die ihr Torwarttrainer einen Zettel angebracht hat. Darauf zu sehen: Frankreichs Elfer-Schützinnen und ihre jeweiligen Lieblingsecken. Der entscheidende Kniff für den Erfolg? Von wegen.

Kritik vom Opa?

„Mein Torwarttrainer hat sich so viel Mühe gegeben, aber ich habe einfach nicht draufgeguckt“, sagt Berger in der großen Interviewgarage. Sie sei eher „der Typ, der ein bisschen mehr im Moment lebt“ und habe daher auf ihr Gefühl gehört. Dabei übt die Torhüterin aber auch Selbstkritik: „Das wird wahrscheinlich mein Opa auch sagen: Manchmal bin ich im Elfmeterschießen zu früh gesprungen und das weiß ich selbst. Ich kriege wahrscheinlich noch ein bisschen Ärger von unserem Bundestrainer, weil auch er gesagt hat: ‚Du springst immer in die gleiche und falsche Ecke.’“

Der Opa und der Bundestrainer, diese beiden Männer sind ja im Verlauf der EM in der Schweiz zu prägenden Figuren beim Blick auf die Keeperin geworden. Der Opa, weil Berger kürzlich selbst über das spezielle Verhältnis zu ihrem ältesten Fan, der zugleich ihr größter Kritiker ist, sprach. Und darüber, dass der 92-Jährige erst zum möglichen Finale wieder zu einem Spiel kommen werde. Den ersten Satz in die TV-Kamera widmet die Matchwinnerin nun am Samstagabend nach dem Elfmeterschießen ihrem Großvater. „Das ist für dich, Opa!“, brüllt Berger nach ihrem letzten gehalten Elfer – nach dem auch der Bundestrainer Wück vor Freude schreit.

Jetzt kommt auch mal ein langer Ball

Das ist der Mann, der Berger nach dem 2:1 im zweiten Vorrundenspiel gegen Dänemark am selben Spielort noch für ihre Dribblings kritisiert hat: „Wir werden da andere Lösungen finden müssen – weil sonst werde ich bei diesem Turnier nicht mehr alt.“ Jetzt spielt Berger öfters mal einen langen Ball (der ob der tollen Technik meist ankommt.) Und Wück ist nach den Großtaten seiner Keeperin gegen Frankreich glückselig in den Jungbrunnen gefallen.

Denn das Berger-Festspiel von Basel besteht ja nicht nur aus dem letzten Akt, den prägendsten Auftritt hat die Keeperin in der Verlängerung. Kapitänin Janina Minge fälschte in der 103. Minute eine Flanke mit dem Kopf in Richtung eigenes Tor ab – über Berger hinweg. Einige Französinnen reißen schon die Arme hoch. Sie sind sich sicher, dass der Ball im Tor landet. Doch Berger liegt fast quer in der Luft – und kratzt den Ball im Zurückspringen noch von der Torlinie. Eine Wahnsinnsparade. Wie sie das erklären soll, weiß sie später selbst nicht. Eine Mischung aus Reaktion und Instinkt sei es gewesen, sagt Berger: „Ich weiß nicht, wie ich da noch hingekommen bin, ganz ehrlich.“

Überhaupt will die 34-Jährige nicht so sehr über sich sprechen, sie lobt lieber ihre Teamkolleginnen: „Ich bin auf die Mannschaft stolz – 110 oder 100 Minuten zu zehnt auf dem Platz zu stehen, ist eine krasse Arbeit, davor habe ich einen Heidenrespekt.“ Innenverteidigerin Kathrin Hendrich hatte ja nach ihrer Tätlichkeit schon in der 13. Minute die Rote Karte gesehen. „Ich habe einfach nur meinen Teil dazu beigetragen, aber die Mannschaft hat die ganze Arbeit gemacht. Deswegen finde ich es immer schade, dass dann mir als Torhüterin applaudiert wird“, sagt Berger – die den gesammelten Applaus ihrer Teamkolleginnen aber auch nicht verhindern kann in der Nacht von Samstag auf Sonntag.

Lob von Klara Bühl

„Sie hat heute wieder gezeigt, wie unfassbar sie ist – was für eine Persönlichkeit“, sagt Linksaußen Klara Bühl und erklärt, dass Berger abseits des Platzes „einfach eine ganz Liebe“ sei. „Mit ihr kann man immer über alles Mögliche sprechen. Sie hat natürlich unglaublich viel Lebenserfahrung mit dem, was sie durchgemacht hat.“

Bühl spricht damit an, was Berger in den vergangenen Jahren, als sie noch nicht DFB-Stammkeeperin war, geprägt hat: Die Torhüterin war zweimal an Schilddrüsenkrebs erkrankt, kämpfte sich jedes Mal wieder zurück in den Leistungssport – und ist nun stärker denn je. „Ihr Lebensweg hat sie, glaube ich, dahin gebracht, so ruhig kritische Situationen zu bewältigen“, sagt Bundestrainer Wück dazu: „Diese Ruhe und Sicherheit, die sie ausstrahlt, ist für unser Teamgefüge unheimlich wichtig.“

Und Berger selbst? Bleibt in Basel, als die Mitspielerinnen längst Pizza essen in der Kabine, inmitten des Interviewmarathons ganz bei sich: „Ich bin gerade nicht wirklich emotional“, sagt sie, angesprochen auf ihre Vita. Ihre Krebserkrankungen seien Vergangenheit, denn: „Ich lebe gerade mein bestes Leben – ich bin im EM-Halbfinale.“

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Erstellt:
20. Juli 2025, 13:14 Uhr

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