Bestechung bei SSB: Haftstrafen für die Täter

Die SSB greifen bei Personal- und Einstellungsgesprächen auf externe Dienstleister zurück.

© Lichtgut//Leif Piechowski

Die SSB greifen bei Personal- und Einstellungsgesprächen auf externe Dienstleister zurück.

Von Jörg Nauke

Stuttgart - Die Absprache unter guten Bekannten, über viele Jahre hinweg Beratungsaufträge gegen einen 25-Prozent-Anteil an den Rechnungen bei der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) AG zu vergeben, hat sich nicht ausgezahlt: Das Amtsgericht Stuttgart verhängte am Mittwoch wegen Bestechung in 53 Fällen und Steuerhinterziehung gegen eine ehemalige Führungskraft (57) der Stuttgarter Straßenbahnen AG eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Ihm war 2018 nach Bekanntwerden der Vorwürfe gekündigt worden, er schlägt sich heute als Freiberufler durch. Ein ehemals selbstständiger Anbieter von Beratungsdienstleistungen und Schulungsangeboten (59) erhielt wegen Bestechung des Abteilungsleiters in der Personalentwicklung eine Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Beide Strafen wurden für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Zu den Bewährungsauflagen gehört eine Zahlung von 10 000 Euro an das Kinderhospiz Stuttgart (für den ehemaligen SSB-Mitarbeiter) und 60 Sozialstunden (für den Coach).

Damit entsprach das Schöffengericht weitgehend den Forderungen der Staatsanwaltschaft, die fast fünf Jahre ermittelt hatte, was ebenso strafmildernd bewertet wurde wie die demonstrierte Einsicht und Reue der Angeklagten, ihre umfassenden Geständnisse und der Umstand, dass sie bisher nicht vor Gericht standen. Die Anklagevertretung hob in ihrem Plädoyer auf das „hohe Gut der Unbestechlichkeit der öffentlichen Verwaltung“ ab. Der ermittelnde Kripobeamte wies in seiner Zeugenaussage allerdings auf die untypische Motivlage der SSB-Führungskraft hin: Nichts habe darauf hingewiesen, dass das Geld für „Koks, Nutten und große Autos“ ausgegeben worden wäre. Es sei nur ein Zubrot zum Gehalt gewesen, das der Mann stets für zu gering erachtet hatte.

Der 59-jährige Dienstleister muss sich auf weitere Verhandlungen vorbereiten. Im Hauptberuf war er von 2008 bis 2016 Leiter der Abteilung für ausländische Patienten (IU) im Klinikum Stuttgart. Er muss sich von Dezember an wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit verantworten. Die Coachingleistungen für die SSB hatte er im Nebenjob erbracht. Er schlichtete auch den Streit zwischen Vorstand und Betriebsrat.

Außer ihm stehen dann im Zusammenhang mit falschen Abrechnungen bei der Behandlung von 371 libyschen Kriegsverletzten und einem aus den Fugen geratenen Beratungsprojekt mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium vier weitere ehemalige Klinikumbeschäftigte vor der 20. Strafkammer des Landgerichts. Sein Strafverteidiger hat Berufung angekündigt, um – im Hinblick auf die dort zu erwartende höhere Strafe für seinen Mandanten – eine Einstellung der Anklage im SSB-Fall zu erreichen.

Auf die angeklagte Unrechtsvereinbarung beim städtischen Verkehrsbetrieb, die die Angeschuldigten in der Verhandlung bedauert haben, waren die Kripobeamten im Zuge ihrer Ermittlungen zum Klinikumskandal gestoßen. Bei der Auswertung des Mobiltelefons des Ex-Klinikum-Abteilungsleiters war als „Beifang“ entlarvende Korrespondenz mit seinem Kompagnon zur Übergabe von Bestechungsgeld im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufträgen im Café Planie entdeckt worden. Der 59-Jährige hatte am letzten Tag seiner sechsmonatigen Untersuchungshaft im September 2018 in einer Vernehmung eingeräumt, es habe seit 2011 eine Vereinbarung gegeben, die regelte, dass er vom 57-Jährigen Coachingprojekte angeboten bekommen habe, dafür aber ein Viertel seines Nettoerlöses habe abgeben müssen. Weil die Verjährungsfrist für alle Taten fünf Jahre beträgt, blieben etwa 200 Fälle ungesühnt. Angeklagt wurden 150, die die Staatsanwaltschaft in der Verhandlung um jene Fälle reduzierte, in der andere Bildungsreferenten Coachingaufträge erteilt hatten und der Nachweis nicht erbracht werden konnte, dass auch diese Gegenstand von Schmiergeldzahlungen an den Abteilungsleiter waren. Die Verfahren wegen Vorteilsannahme und -gewährung wurden deshalb eingestellt. Die Einziehung des sogenannten Wertersatzes, der den Schaden – auch der in den verjährten Fällen – in Geld ausgleicht, wurde ebenfalls veranlasst: Vom ehemaligen IU-Abteilungsleiter werden 126 000 Euro gefordert. Unberücksichtigt bleibt, dass er unzweifelhaft im Rahmen seiner Coachingarbeit ordentliche und günstige Leistungen erbrachte und dafür Aufwendungen hatte, weil diese im Zusammenhang mit der Tat stehen. Als Grundlage gelten Rechnungen im Umfang von mehr als 200 000 Euro.

Der ehemalige SSB-Mitarbeiter soll 31  000 Euro erstatten – eine Kaffeemaschine mit abnehmbarem Milchschäumer war schon konfisziert worden. Die Chatkorrespondenz zum Vollautomaten, ein Bestechungsgeschenk für die Gemahlin, verdeutlichte aus Sicht der Ermittler, der Anklage und des Gerichts, dass die Initiative für die Taten vom SSB-Beschäftigten ausgegangen sei, der zudem als Amtsträger besonders streng behandelt wird. Jedoch habe er nicht viel Überredungskunst benötigt.

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Erstellt:
23. August 2023, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
24. August 2023, 21:59 Uhr

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