„Das ist hier doch keine Kaffeefahrt“
Die Stuttgarter Feuerwehr baut eine bundesweit einmalige Einheit für Katastrophenschutz auf. Trainiert wird in einer ehemaligen Kiesgrube.

© Jürgen Bock
Schräglage: Die Stuttgarter Feuerwehr übt für extreme Einsätze im Gelände.
Von Jürgen Bock
Stuttgart/Rastatt - Das Kommando kommt vom Beifahrersitz. „Jetzt mal rechts rum durchs Schlammloch“, sagt Mike Schächinger. Der Fahrer neben ihm folgt der Anweisung. Der Unimog, in dem beide sitzen, schwankt wie ein Schiff auf hoher See und legt sich in die Kurve. Als ob starker Wellengang wäre, taucht das Fahrzeug nach unten ein und wieder nach oben auf. Alles wackelt, die Luftgepolsterten Sitze unterm Po federn mit aller Kraft, um die Extrembewegungen auszugleichen. Weiter geht’s, eine heftige Rampe hinauf. Vor der Windschutzscheibe sieht man nur noch Steilhang. „Der schiebt jetzt halt a bissle. Jawoll, super!“, ruft Schächinger und strahlt übers ganze Gesicht.
Fahrer Mathias Nirrengarten von der Freiwilligen Feuerwehr in Stuttgart-Heumaden steuert an diesem Tag zum ersten Mal ein ganz besonderes Auto. Das extrem geländegängige Tanklöschfahrzeug lässt sich sowohl zur Waldbrandbekämpfung als auch bei Hochwasserkatastrophen einsetzen. Der Unimog fasst 3200 Liter Wasser, verfügt über Frontsprühbalken und Sprühdüsen vor den Rädern, damit er auch in brennendem Gelände vorwärts kommt. Bei Überflutung kann er durch bis zu 1,2 Meter tiefes Wasser fahren. Auf dem Dach lassen sich Menschen retten.
Das Fahrzeug gehört zu einem Paket aus vier neuen Unimog, die sich die Stuttgarter Branddirektion inklusive Förderung gut zwei Millionen Euro hat kosten lassen. Ein weiteres Tanklöschfahrzeug derselben Art kommt zur Abteilung Büsnau, ein Rüstwagen für die technische Hilfeleistung nach Degerloch und ein nur 2,20 Meter schmaler Rüstwagen speziell für enge Wege in Weinbergen und Wäldern wird künftig in Uhlbach stehen. Gemeinsam mit zwei älteren Autos bilden sie einen ganz besonderen Verbund für den Katastrophenschutz. Beim Hersteller, der Daimler Truck AG , spricht man nicht ohne Stolz von einer „bundesweit einzigartigen taktischen Einheit in Stuttgart“. Das ist kein Zufall – die Landeshauptstadt mit ihren ausgedehnten Wäldern, Weinbergen und Steillagen bietet reichlich schwer zugängliches Terrain.
Der Umgang mit den Spezialautos muss allerdings geübt werden. Und deshalb haben sich an diesem Samstag in der Kiesgrube Ötigheim bei Rastatt 45 Feuerwehrleute aus den entsprechenden Stuttgarter Abteilungen versammelt. Das Unimog-Testgelände, das sie dort vorfinden, ist extrem. Wassergräben, bis zu 110 Prozent steile Rampen, matschige Waldwege – alles, was ein Fahrzeug an seine Grenzen bringt. Um 6 Uhr morgens war Aufbruch in Stuttgart, den ganzen Tag über stehen Trainingseinheiten auf dem Programm. Angeleitet werden die Fahrerinnen und Fahrer von den Spezialisten des nahen Unimog-Museums in Gaggenau.
Dort engagiert sich auch Mike Schächinger aus Bad Liebenzell ehrenamtlich. Er spricht vom „Virus Unimog“ – und ist beim Fahrtraining voll in seinem Element. „Kleine Kinder, kleine Spielzeuge. Große Kinder, große Spielzeuge“, sagt er. Mit den Stuttgarter Feuerwehrleuten ist er zufrieden. „Dafür, dass sie zum ersten Mal in so einem Gelände fahren, machen sie das sehr gut. Sie bleiben ruhig, werden nicht hektisch. So lernt man, was das Fahrzeug kann, und bekommt ein gewisses Vertrauen zu sich selbst und zum Auto.“
Draußen schüttet es inzwischen wie aus Kübeln, die Zuschauer drängen sich unterm Dach des kleinen Pavillons auf dem Gelände. Drin im Heumadener Fahrzeug aber ist die Stimmung bestens. „So, jetzt mal mit Karacho. Das soll ja keine Kaffeefahrt werden“, ruft Schächinger und lacht. Leichter gesagt als getan – direkt vor dem Auto liegt ein mächtiger Baumstamm. „Bei solchen Hindernissen ist es wichtig, mit einem Rad nach dem anderen drüber zu fahren“, so der Instruktor. Mustergültig bewegt Mathias Nirrengarten das voll beladene und damit rund 15 Tonnen schwere Fahrzeug über den Stamm.
„Die Leute lieben diese Autos“, sagt Christian Schwarze. Der Leiter der Abteilung Technik bei der Stuttgarter Branddirektion ist regelmäßig bei den Trainings dabei und steht auch jetzt vor einem Fahrzeug. Der strömende Regen scheint ihn nicht zu stören, er grinst übers ganze Gesicht. „Für eine Geländefahrausbildung braucht man so einen Ort wie diesen hier. Wir haben die Spezialtechnik, aber wir müssen sie auch beherrschen“, sagt Schwarze. Profitieren von der Katastrophenschutzeinheit soll nicht nur Stuttgart. Sie soll bei Notfällen auch landes- oder gar bundesweit Hilfe leisten. „Wir sind die größte Feuerwehr in Baden-Württemberg. Wenn irgendwo jemand ein entsprechendes Problem hat, sollte er wissen, dass er sich an uns wenden kann.“
Der Unimog schaukelt inzwischen durch Matschlöcher, in die ein halber Kleinwagen passen würde. Bedrohlich neigt sich das Auto zur Seite, um dann wieder in die Waagrechte zu kippen. Der Instruktor kann seine Begeisterung kaum noch zurückhalten. „Der schnurrt wie a Kätzle“, ruft Schächinger. Während er mit den Fahrzeuginsassen über technische Details fachsimpelt, taucht vor der Scheibe ein Bach auf. Es geht mitten hinein, rund einen Meter tief. „Jetzt schiebst du eine schöne Bugwelle vor dir her. Zweiter Gang, kuppeln. Dann kann man schön rausdriften“, sagt der Instruktor. Gekonnt steuert Nirrengarten das Auto aus dem Wasser. Nach einer Dreiviertelstunde endet seine erste Übungsfahrt.
„Ich habe dieses Jahr erst den nötigen Führerschein gemacht“, sagt der junge Feuerwehrmann. Er sei zwar schon einmal bei einem Training hinten im Auto gesessen, „aber selbst zu fahren ist ein Riesenunterschied. Das ist schon noch mal was anderes, wenn man den Steilhang von vorn sieht. Da muss man der Technik vertrauen.“ Dieser Punkt dürfte an diesem Samstag erreicht worden sein. Mit Matschlöchern, Steilhängen und Wassergräben.