Joachim Gauck bei Caren Miosga

„Symbolpolitik reicht nicht aus“

Im ARD-Talk reibt sich der Ex-Bundespräsident an der Ampelregierung, gibt aber auch CDU-Chef Friedrich Merz eine Mahnung mit auf den Weg.

Joachim Gauck bei Caren Miosga: „Wir müssen Formen finden, diese Demokratie zu verteidigen.“

© NDR/ThomasErnst

Joachim Gauck bei Caren Miosga: „Wir müssen Formen finden, diese Demokratie zu verteidigen.“

Von Christoph Link

Eine Nummer kleiner wäre wohl auch gegangen. Aber wenn schon der wortgewaltige frühere Pfarrer und Ex-Bundespräsident Joachim Gauck im Studio ist, kann es Moderatorin Caren Miosga auch mal mit einer Mammutfrage probieren: „Was wird aus Deutschland, Herr Gauck?“

Nach drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, bei denen jeder dritte eine in Teilen rechtsextreme Partei gewählt habe, wolle sie das „Warum“ wissen und was die Ergebnisse mit dem Westen zu tun hätten. Ja, eine „gewisse Beunruhigung“ habe er wegen der Wahlresultate, entgegnete Joachim Gauck in der Sendung am Sonntagabend. Aber er sei nicht der Mann, der Untergangsstimmung verbreite. Er rate davon ab, jetzt die Wähler zu beschimpfen und in „Angststarre“ zu verfallen. „Statt jetzt auf dem Sofa zu sitzen ist unser Engagement gefragt. Wir müssen Formen finden, diese Demokratie zu verteidigen.“

Natürlich habe die Regierung auch Fehler gemacht, jede Regierung mache Fehler. Das Migrationsthema habe den Nationalpopulisten bei den Landtagswahlen sehr geholfen, an „markanten Teilen des Sorgenhaushalts unserer Bevölkerung ist nicht sichtbar gearbeitet worden“, so Gauck. Das führe dann zu einem Vertrauensverlust und dem Vorwurf des Kontrollverlustes. Die Bundesinnenministerin bemühe sich jetzt an den Grenzen die Kontrolle der illegalen Migration zu erlangen. „Aber das Signal der Entschlossenheit kommt reichlich spät. Und Symbolpolitik reicht nicht aus.“

Das war für einen parteipolitisch neutralen Ex-Bundespräsidenten eine deutliche Kritik an der Ampel-Regierung – doch auch die CDU unter Friedrich Merz erhielt vom Hauptstudiogast später noch eine krasse indirekte Warnung.

Gefühl von Heimatverlust

Zunächst aber war Gauck noch bei der Wahlanalyse: Ein Drittel der Bevölkerung habe das Bedürfnis, vor dem ständigen Wandel „geschützt“ zu werden und es leide unter dem Eindruck, dass die vertraute Heimat verloren gehe. Im Osten komme hinzu, dass in der DDR die Menschen 56 Jahre lang in „politischer Ohnmacht“ gelebt hätten, ohne eine Chance auf Veränderungen.

Auch die Jüngeren hätten diese Wahrnehmung übernommen, es gebe sowohl bei Traumata, wie bei Erfolgen und Siegen eine „transgenerationelle Weitergabe“. Er halte die AfD nicht für eine Nazi-Partei, es gebe darin wenige, die wirklich „Hitler zurück“ wollten. Gleichwohl gebe es bei vielen AfD-Wählern „die Sehnsucht nach autoritärer Führung“, denn Autonomie sei anstrengend, Freiheit in Verantwortung zu leben ebenso.

Warnung vor Ressentiments

Caren Miosga ließ ein Video von 2015 – dem Jahr der Flüchtlingskrise unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) – einspielen, in dem der damalige Bundespräsident Gauck sagte, man wolle ja helfen, „aber unsere Mittel sind endlich“ – damals ein deutlicher Fingerzeig für Merkel. Er habe diese Aussage erst nach Recherchen getroffen, nachdem er mit überforderten Bürgermeistern und Landräten gesprochen habe, erläuterte Gauck.

Es glaubten ja einige, der Bundespräsident müsse eine „Instanz der politischen Korrektheit“ sein, aber zur Wahrheit gehöre auch, „was nicht gelungen ist“ - und das müsse auch ein Bundespräsident ansprechen. Da die Debatte nun bei der CDU angekommen war, setzte Gauck dann gleich den besagten Seitenhieb gegen Friedrich Merz, den Kanzlerkandidaten der Union und CDU-Parteichef.

Merz sei in einem „Dilemma“, so Gauck. Er habe eine Reihe von konservativen Wählern verloren und müsse die nun irgendwie mit konservativen Angeboten zurückgewinnen. Welche das sein sollten, dass sagte Gauck nicht, aber er sprach eine Mahnung aus: „Man darf niemals die Ressentiments der Fremdenfeinde benutzen.“ Deshalb könne die Union auch nicht mit der AfD koalieren, das sei allenfalls denkbar, wenn die sich in Richtung der Schweizer Volkspartei (SVP) entwickle.

Zweifel an der CDU-Idee

Von Miosga gefragt, ob denn die CDU-Idee von einer Zurückweisung von Migranten an den Grenzen – umstritten von Juristen – ein aufrichtiger Vorschlag sei, meinte das Ex-Staatsoberhaupt: „Wahrscheinlich wird es nicht funktionieren.“ Aber der Vorschlag sei ja kurz vor den Wahlen gekommen, vermutlich werde man jetzt daran noch feilen, und bisher sei die CDU nicht durch eine Missachtung des Rechts aufgefallen.

Wie aber nun die ständigen Wahlerfolge der Rechtspopulisten eingedämmt werden könnten, dazu kamen in der Studiorunde wenig Antworten. Stattdessen verfeinerte die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach die Wahlanalyse: Die AfD „bewirtschafte“ im Osten die Ängste und Sorgen der Menschen, sie wende sich direkt an sie, habe beispielsweise ein AfD-Regierungsprogramm für Schüler aufgelegt, bei anderen Parteien sei so etwas nicht gut sichtbar.

Auch hätten AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Osten jetzt die Linkspartei als Kümmerer für die Ost-Belange abgelöst. Mit Slogans wie „Der Osten macht’s“ oder einem Björn Höcke auf einem Moped der DDR-Marke Simson sei da Wahlkampf gemacht worden, der den Stolz auf die Identität und Kultur des Ostens pflege. Gerade bei jungen männlichen AfD-Wählern im Osten beobachtet Reuschenbach einen Hang zu Kameraderie, Körperkultur und martialischem Auftreten – der Osten werde da „als befreite Zone“ von verweichlichten Typen gesehen.

Mit Vorwürfen des Rechtsextremismus komme man da wenig weiter, damit wird in der AfD schon kokettiert: Ein junger AfD-Mann sei mit dem T-Shirt-Aufdruck „Ja, dann bin ich eben rechtsextrem“ gesehen worden und in Thüringen hing ein AfD-Plakat mit dem Slogan: „AfD – fast schon verboten gut“.

Rechte auf Tiktok im Vorteil

Aber wie können die demokratischen Parteien die Bevölkerung erreichen, frage Caren Miosga fast schon verzweifelt, gerade im Osten, wo die Parteibindung gering sei und die Wähler von Angebot zu Angebot „springen“. Der in Rostock geborene Soziologe Steffen Mau habe auch auch keine Lösung, sagte er in der Sendung. Vielleicht müssten die Parteien ihre Ansprechbarkeit vor Ort erhöhen.

In den sozialen Medien seien auf jeden Fall die rechtsextremen Parteien im Vorteil, die TikTok, Instagram und Facebook als „Polarisierungsunternehmen“ nutzten und dort mit Zuspitzungen arbeiteten. Es sei die Frage, ob auch die anderen Parteien so eine emotionale Gegenwelle in den sozialen Medien fahren wollten – vielleicht wie Kamala Harris in den USA?

Auf keinen Fall, so Mau, werde es eine Renaissance der Parteiendemokratie im Osten geben, möglich sei es vielleicht mit neuen Dialogformaten – beispielsweise Bürgerräten – den Menschen wichtige „Selbstwirksamkeitserfahrungen“ zu geben. Joachim Gauck hatte eher ein traditionelles Rezept: „Wir brauchen Sympathieträger aus unserer Mitte, die für die offene, liberale Gesellschaft begeistern und werben.“ Im übrigen missfalle ihm, dass „eine Erzählung“ völlig fehle: Die von den Gewinnen, die unser Land durch Zuwanderung erhalte.

Zum Artikel

Erstellt:
23. September 2024, 07:58 Uhr
Aktualisiert:
23. September 2024, 08:03 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen