Der defensive Ruhepol

Der Stuttgarter Torhüter Alexander Nübel verleiht dem VfB in der Anfangsphase der Saison die ersehnte Sicherheit zwischen den Pfosten – die sich auch auf das Spiel seiner Vorderleute überträgt.

Alexander Nübel (re.) pariert gegen Freiburgs Stürmer Roland Sallai (li.). 
     
     Foto: Pressefoto Baumann

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Alexander Nübel (re.) pariert gegen Freiburgs Stürmer Roland Sallai (li.). Foto: Pressefoto Baumann

Von David Scheu

Stuttgart - Es mag nach einem 5:0 merkwürdig klingen, aber das Bundesliga-Spiel des VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg hätte auch ganz anders laufen können. Zu Beginn nämlich waren es die Breisgauer, die gleich zweimal die große Chance zur Führung hatten: erst durch Michael Gregoritsch nach einer Flanke, dann durch Matthias Ginter nach der folgenden Ecke. Und dass der SC mit einem Torerfolg im Rücken schwer zu knacken gewesen wäre, weiß niemand besser als der VfB: Zwischen 2020 und 2022 gingen alle drei Heimspiele gegen die Freiburger verloren – jeweils nach einem Rückstand in der Anfangsviertelstunde. Dass es am Samstag nicht so kam, war vor allem einem zu verdanken: Alexander Nübel.

Der Stuttgarter Torhüter entschärfte die frühe Doppelchance mit zwei starken Reflexen. Nichts weniger als „Weltklasse“ sei das gewesen, befand der frühere Nationalspieler und heutige TV-Experte Dietmar Hamann. Und auch VfB-Trainer Sebastian Hoeneß wusste, bei wem er sich nach dem Fußballfest eben auch zu bedanken hatte: „Wir müssen froh sein, nicht zurückzuliegen. Alex hat uns davor bewahrt.“ Ein weiteres Mal war Nübel in der Folge noch zur Stelle, als er kurz vor der Halbzeit einen langen Freiburger Pass antizipierte und sich vor Gästestürmer Roland Sallai breit aufbaute. Es gab kein Durchkommen an diesem Nachmittag.

Die stabile Leistung der Nummer eins ist auch deshalb eine Erwähnung wert, weil Nübel mit einer stattlichen mentalen Hypothek in die Partie gegangen war: An der 1:5-Klatsche bei RB Leipzig in der Vorwoche hatte er seinen Anteil. Vor allem am 1:1-Ausgleich, als er seinen Gegenspieler Benjamin Henrichs anschoss. Der Ball prallte ins Tor, die Führung war weg, das Spiel kippte. „Es war brutal letzte Woche“, sagt der 26-Jährige, „mein individueller Fehler war natürlich heftig.“ Nübel ist lange genug dabei, um die Spezifika seiner Position zu kennen: Sie verzeiht nahezu keine Fehler, fast immer münden Patzer in Gegentore und rücken den Schlussmann in den Fokus. „Es ist nicht einfach als Torwart“, sagt Nübel, „weil man natürlich immer mehr aufs Negative schaut.“

Da kein Spieler der Welt über 90 Minuten völlig fehlerfrei agiert, stellt sich die Frage nach dem Umgang damit. Für Nübel war die Sache klar: abhaken, nach vorne blicken, das gewohnte Pensum abspulen. Oder wie er sagt: „Ich habe normal trainiert und Gas gegeben.“ Ebenso unaufgeregt war dann auch Nübels Spiel gegen die Freiburger nach seinen anfänglichen Paraden. Viel zu tun bekam er zwar im zweiten Durchgang nicht mehr, eine wichtige Rolle hatte er dennoch. Als Ruhepol, der Souveränität an den Tag legte und sich im eigenen Ballbesitz auch unter Druck eine flache Spieleröffnung zutraute.

Aus Sicht des Stuttgarter Sportdirektors war das mindestens genauso wichtig wie Nübels Reflexe: „Er hat viel Sicherheit ausgestrahlt und hatte viel Klarheit in seinen Aktionen“, sagt Fabian Wohlgemuth. Es gehe bei einer Torhüterleistung immer auch um ein gutes Gefühl, das er seinen Vorderleuten gebe. „Das sorgt für Stabilität in der Defensivformation“, so Wohlgemuth.

Genau an dieser Stelle sahen die Stuttgarter Verantwortlichen nach der Vorsaison Handlungsbedarf. Ihre starken Momente hatten Florian Müller und Fabian Bredlow zwischen den Pfosten zwar auch, allerdings gepaart mit wiederkehrenden Unsicherheiten in puncto Strafraumbeherrschung und bei Distanzschüssen. Also lieh der VfB Nübel für eine Saison vom FC Bayern aus. Und hat damit auf der Torhüterposition – auch wenn das Fazit nach vier Pflichtspielen nur ein vorläufiges sein kann – einen Schritt nach vorne gemacht.

Das gilt im Übrigen auch für Nübel selbst. Nachdem er in seiner Zeit beim FC Schalke 04 als eines des größten Torwarttalente des Landes gegolten hatte, erlebte er eine komplizierte Saison 2020/21 beim FC Bayern als Reservist hinter Manuel Neuer. Die vergangenen beiden Jahre spielte er wieder regelmäßig beim französischen Erstligisten AS Monaco – wenngleich etwas außerhalb der großen Öffentlichkeit in Deutschland.

In seinen ersten Wochen beim VfB scheint Nübel nun endgültig wieder auf dem Weg zu alter Stärke, was auch der Stuttgarter Anhang am Samstag mit klar vernehmbaren Nübel-Sprechchören nach gelungenen Aktionen honorierte. Der Gelobte selbst stapelte lieber tief und rückte die Teamleistung in den Fokus: „Die Mannschaft ist gallig. Wir haben Bock zu verteidigen. Es war ein sehr gutes Spiel von uns.“ Woran aber ohne Frage auch Alexander Nübel seinen Anteil hatte.

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Erstellt:
4. September 2023, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
5. September 2023, 21:59 Uhr

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