Der Kanzler, die SPD und die Machtfrage

Die Genossen müssen nicht besser erklären, sondern besser regieren – und auf den Deutschlandpakt hoffen.

Von Wolfgang Molitor

Berlin - Parteien, die nach verheerenden Wahlniederlagen mit betrübtem Blick behaupten, eigentlich wenig falsch gemacht zu haben, sondern dem Souverän allenfalls ihr politisches Flickwerk nicht so richtig vermittelt und erklärt zu haben, halten die Wähler in der Regel für ziemlich dumm. Für unfähig, die Folgen von Gesetzen und Beschlüssen geistig zur demokratischen Genüge nicht erfasst zu haben. Das klingt dann so wie ein schlechter Koch, der seinen vergrätzten Gästen eine versalzene Suppe auftischt, um ihren Protest mit Bemerkung vom Tisch zu wischen, das Rezept sei eben wichtiger als der Geschmack.

Der Wähler schnallt einfach nicht, was für ihn gut ist, heißt die freche Devise. Dass das nahezu alle Verlierer mit ähnlichen Worten behaupten, die an schmachvollen Wahlabenden in kurzen Prozenthosen vor die Kameras treten müssen, macht das uneinsichtig selbstgerechte Geschwurbel nicht besser.

Man merkt: Es geht diesmal vor allem um Saskia Esken und ihre SPD. In Hessen ehedem immerhin eine respektable Volkspartei mit einer seit 1947 stattlichen Ministerpräsidenten-Galerie von Christian Stock, Albert Oswald, Georg August Zinn, über Albert Oswald, Holger Börner bis zu Hans Eichel. Letzterer auch schon seit 24 Jahren Landesgeschichte. Bei der jüngsten Wahl hat diese SPD, immer gern im linken Lager verortet, erstmals keins der 55 Direktmandate errungen. Bittere Erfahrungen, die in abgeschwächter Form schon in einem anderen früheren Stammland gemacht wurden, in Nordrhein-Westfalen. Da kann selbst der steile Sturz der baden-württembergischen CDU aus dem scheinbar unbesiegbaren Heimatlager nicht mithalten.

Eine Partei, die den Bundeskanzler stellt, kann das nicht kalt lassen. Erst recht, wenn sie von der Bundesinnenministerin als Spitzenkandidatin in den Abgrund gezogen wird und vieles in Hessen (wie in Bayern) dafür spricht, dass auch Olaf Scholz im Wahlkampf mehr Last als Hilfe war. Was nicht überrascht.

Bereitwillig hat sich die stärkste Regierungspartei auf quengelnde Augenhöhe mit Grünen und Liberalen eingelassen. Die SPD versteht sich statt als Antreiber mehr als Vermittler in einem inhaltlich zu Recht fremdelnden Bündnis, in dessen unvermeidlichen grün-gelben Querelen jegliche Profil stiftende rote Außenwirkung verloren geht. Allen Erfolgen, die die SPD plausibel in der ersten Hälfte dieser mäandernden Legislaturperiode für sich reklamieren darf, zum Trotz.

Die SPD ist mehr als ein Drittel der Ampel. Wenn sie das nicht vermittelt, wenn ihr Kanzler diesen Nachweis nicht schafft, verliert sie Vertrauen, Kompetenz und Attraktivität. So laut und oft sie ihr Dilemma wie ihre Fortschritte auch zu erklären versucht.

Das erste Spitzengespräch zum sogenannten Deutschlandpakt, zu dem der Bundeskanzler den CDU-Zuspitzer Friedrich Merz neben dem in Hessen grandios bestätigten CDU-Mitte-Ministerpräsidenten Boris Rhein auch den sattelfesten Genossen Stephan Weil aus Niedersachsen geladen hat, war noch nicht mehr als eine Standortbestimmung in historisch gefährlichen Zeiten. Ein Treffen ein bisschen an der Ampel vorbei, dafür mit sozialdemokratischer Handschrift.

Es ist einer der letzten Trümpfe, die Scholz hat. Eine SPD, die sich vom kleinlichen Genöle der Ampel nicht mitreißen lässt, die das Kanzleramt als klug antreibende Kraft präsentieren kann, um verfassungsnaive Blockaden vor einer begrenzenden Migrationspolitik zu schleifen, sie könnte der hechelnden Kanzlerpartei wieder etwas Luft und Zuwachs verschaffen – bevor die AfD am 1. September 2024 in Thüringen und Sachsen die Machtfrage stellt.

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Erstellt:
15. Oktober 2023, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
16. Oktober 2023, 21:57 Uhr

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