Schamanismus in Korea
Der Magier im Präsidentensitz
Schamanentum hat in Südkorea eine lange Tradition. Nun wird der Präsident verdächtigt, der Aura eines Heilers erlegen zu sein.

© imago/ / Michelle Gilders
Zieht in Südkoreas Hauptstadt Seoul ein Schamane die Fäden der Politik?
Von Felix Lill
In Korea ist es seit Jahrtausenden üblich, den Rat von Schamanen zu suchen. Für Aufregung sorgen aber hartnäckige Gerüchte, der südkoreanische Präsident stehe unterm Einfluss eines Heilers. Das Thema dreht sich auch um die Frage des Zusammenspiels zwischen Religion und Politik.
„Das ist sehr peinlich“, sagt Yoon Mee-hyang, wenn sie auf ein Phänomen angesprochen wird, über das ihr Heimatland derzeit debattiert. Yoon Mee-hyang ist liberale Oppositionspolitikerin im Parlament in Seoul. Und genau an diesem Ort, dem Hort der Demokratie, gibt es heiße Diskussionen. Nämlich darüber, ob religiöse Führer Einfluss auf die Politik nehmen, nämlich auf den konservativen Präsidenten Yoon Suk-yeol.
Der verfluchte Präsidentenpalast
Yoon Mee-hyang fällt da zuerst folgender Fall ein: „Als der Präsident nach Amtsantritt verkündete, dass er seinen Sitz vom großzügigen Blauen Haus in ein kleines Gebäude im Seouler Viertel Yongsan verschieben würde, konnte das zuerst niemand verstehen.“
Allerdings soll Yoon Suk-yeol gewarnt worden sein. Diverse südkoreanische Medien berichteten, ein Heiler in Yoons Einflusskreis halte das Blaue Haus für verflucht. Und deshalb habe Yoon Suk-yeol dann tatsächlich den Umzug veranlasst. „Wenn dieser Mann eine Bemerkung macht, wird das offenbar gleich in Politik umgesetzt“, sagt dessen Namensvetterin Yoon Mee-hyang.
Es gebe viele weitere Beispiele, meint die Oppositionspolitikerin Yoon Mee-hyang. „Er hat etwa auch gesagt, dass ranghohe Beamte ersetzt werden sollen. Und das wurde dann so gemacht. Er hat wohl auch Bewertungen zur Außenpolitik gemacht, die nun Widerhall finden.“ Dieser Mann, den die Oppositionspolitikerin immer wieder erwähnt, ist seit rund eineinhalb Jahren eine Reizfigur in Südkorea. Bekannt ist er unter seinem Pseudonym Chun-gong und tritt auf Youtube als schamanischer Heiler auf.
Präsident Yoon Suk-yeol hat wiederholt verneint, dass dessen Vertrauter Chun-gong wirklich Einfluss auf seine Amtsgeschäfte nimmt. Aber viele Medien glauben ihm nicht und recherchieren weiter. Denn ließe sich beweisen, dass Yoon unter politischem Einfluss eines Heilers steht, wäre es ein Riesenskandal, sagt auch Cho Il-joon, Journalist der Tageszeitung Hankyoreh. Chun-gong sei ein koreanischer Rasputin.
Man wisse zwar nicht, inwieweit sein Einfluss direkt wirke. Was aber interessant sei: „Chun-gong nimmt auf seinem Youtubekanal oft politisch Stellung, und dabei zeigt sich große Ähnlichkeit zum Präsidenten. Meistens sagt Chun-gong etwas zuerst und dann sieht man, wie Yoon dem folgt.“ Auch Cho Il-joon erwähnt ein paar Beispiele von Ähnlichkeiten zwischen Chun-gong und Präsident Yoon: „Chun-gongs Haltungen werden als sehr weit rechts beschrieben, auch als zeitlich überholt. Und Yoon lenkt Südkorea gerade in diese Richtung: Eine sehr konservative Geschlechter-, Familien- und Bildungspolitik zum Beispiel.“
Die Eskapaden des Präsidenten
Für Kontroversen ist Präsident Yoon, der auch als koreanischer Trump bezeichnet wird, mittlerweile bekannt. Bei einem Besuch in den USA schimpfte er über US-Politiker, ohne zu bemerken, dass ein Mikrofon noch angeschaltet war. Später dementierte er, was alle gehört hatten. Diverse Kritiker werfen dem ehemaligen Staatsanwalt auch vor, weder ein Gefühl für Diplomatie noch für gesellschaftliche Stimmungen zu haben. Aber die Affäre um den Heiler Chun-gong und mögliche schamanistische Einflüsse trifft in Korea einen besonders wunden Punkt.
Schamanismus hat hier jahrtausendealte Wurzeln, wobei heute weniger als zwei Prozent angeben, ihm als Religion zu folgen. Das liege aber auch daran, dass man sich mit Schamanismus in der modernen Welt nicht mehr schmücken könne, sagt Yang Jong-sung, Gründer und Direktor des Museums für Schamanismus in Seoul: „Die Menschen in Korea sind kulturell eng verbunden mit der schamanischen spirituellen Kraft. Alle haben schamanische Ideale in sich. Man lässt sich in Ritualen den Weg in die Zukunft ebnen.“
Viele Menschen in Korea bitten bei schamanischen Heilern um Energie fürs Leben – dies sei im ostasiatischen Land so üblich. „Wie alle anderen suchen auch Politiker Schamane auf. Aber sie geben es dann ungern zu“, so Yang. Denn Südkorea, das ab den 1950er Jahren einen rasanten Aufstieg von einem Agrarland zu einer Industrienation machte, hat auch starke kulturelle Umwälzungen durchlebt. Schamanismus gilt heute nur noch als Aberglauben.
Für den Präsidenten eines säkularen Landes gelten andere Regeln
Yang Jong-sung aber hält das für unehrlich, denn die schamanistischen Ideen seien weiterhin überall zu finden, selbst im koreanischen Christentum: „Christliche Priester sind zum Beispiel keine Mediziner, verhalten sich hier aber oft so. In Predigten versprechen sie: ‚Oh! Ich kann die Kranken unter euch gesund machen!‘ Und das wird auch geglaubt!“ Auch Yang Jung-song, der einst eine Doktorarbeit über immaterielles Kulturerbe schrieb, glaubt daran.
Denn manche wenige Schamane, behauptet er, könnten wie auch christliche Priester mit spiritueller Kraft für Gesundheit sorgen. „Ich habe solche Fälle selbst gesehen. Deswegen glaube ich auch, dass es klug ist, sich von einem guten Heiler beraten zu lassen.“ Skandalpotenzial sieht Yang Jong-sung, der landesweit als Schamanismusexperte gilt, in der Affäre des südkoreanischen Präsidenten daher nicht. Denn erstens, so Yang, wäre Yoon längst nicht der einzige Politiker, der sich Schamanen anvertraue. Und zweitens nähmen ja auch christliche Geistliche immer wieder Einfluss auf die Politik.
Was sich zudem zeigt: Vermeiden lässt sich der Einfluss offenbar ohnehin kaum. Das berichtet etwa Ji Seong-ho aus Erfahrung. Heute sitzt er als Mitglied der regierenden konservativen Partei im südkoreanischen Parlament. Als junger Mann aber floh Ji aus Nordkorea in den Süden: „In Nordkorea ist der Schamanismus heute verboten. Die Kommunistische Partei hat alles streng reglementiert, auch Religionen. Aber Offizielle der Kommunistischen Partei suchen Heiler trotzdem auf. Das ist auch dort übliche Praxis.“
Auf die Situation des Präsidenten Yoon, der sein Parteikollege ist, geht Ji Seong-ho nicht ein. Allerdings fühlt er sich genötigt, zu seiner eigenen Person zu erwähnen: „In Südkorea habe ich nie den Rat von Schamanen gesucht. Im Norden habe ich das nur als jüngerer Mensch mal getan.“ In der sehr leistungsorientierten südkoreanischen Gesellschaft suchen Menschen oft dann Schamane auf, wenn sie in die Zukunft blicken oder sich Glück sichern wollen: Vor wichtigen Schulprüfungen, vor der Hochzeit oder auch nach dem Tod eines Familienmitglieds.
Schön und gut, sagt der Journalist Cho Il-joon. Aber für den Präsidenten eines säkularen Staates gelten andere Regeln: „Würde wirklich herauskommen, dass Yoon seine Positionen von Chun-gong hat, müsste er zurücktreten, denke ich.“ Denn das wäre dann „eine Schande.“