Der Magier mit den Medizinbällen
Felix Magath wird an diesem Mittwoch 70 Jahre alt und blickt auf seine schönste Trainerzeit zurück – beim VfB Stuttgart.

© Baumann (3), imago
Ungerührt: 2004 verfolgt Felix Magath, wie sich Ivan Stojanov mit Bällen auf jenen Weg macht, den Zvonimir Soldo und Horst Heldt (v.l.) gerade hinter sich gebracht haben.
Von Carlos Ubina
München - Felix Magath ist fit. Federnden Schrittes kommt er zum Treffpunkt an seinem Wohnort München. Er wirkt gut trainiert. Einmal die Woche spielt er noch Fußball. Immer mittwochs, in einer Halle im Stadtteil Grünwald. Da soll das Bällchen laufen. Ansonsten läuft der Ex-Nationalspieler selbst, und er fährt Rad, um seine Ausdauerfähigkeit zu verbessern. „Klar“, sagt Magath, er traue sich einen Trainerjob in der Bundesliga noch zu. Trotz seiner jetzt 70 Jahre – oder gerade wegen all der Lebens- und Berufserfahrung, die damit verbunden ist.
An diesem Mittwoch feiert Magath seinen runden Geburtstag. Eine Biografie erscheint dazu. „Gegensätzliches“, lautet der Titel von Autor Harald Kaiser (Verlag Die Werkstatt), weil sein Protagonist polarisiert. Magath ist, wenn es um Profifußball geht, erfolgsbesessen. Alles ordnet Magath dem Gewinnen unter. Das war als Spieler so, als er mit dem Hamburger SV reichlich Titel sammelte und war anschließend als Trainer nicht anders.
Dieser ausgeprägte Ehrgeiz hat Magath Ruhm, Ehre und eine beeindruckend lange Liste an Erfolgen eingebracht, aber ebenso einen speziellen Ruf als Coach. Der Magier, der in zwei Jahren aus dem Abstiegskandidaten VfL Wolfsburg einen Meister macht – oder: der Mann mit den Medizinbällen. Darauf reduzieren ihn seine Kritiker, weil er Spieler bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit trainieren lässt und manchmal darüber hinaus.
Doch Magath ist auch ein Großmeister des Rasenschachs. Jemand, der Spiele durchdenkt. Und jemand, der Spielern auf dem Platz viel Verantwortung überlässt. Als Coach gibt er nur einen Rahmen vor. Ausfüllen müssen ihn die Spieler selbst. Mit Leidenschaft und Laufbereitschaft, aber auch mit Finesse und feiner Technik.
Die Taktik gehört ebenfalls zum Gesamtpaket. Nur: Magath findet sie im modernen Fußball grundsätzlich überbewertet. „Brian Clough, der legendäre Erfolgstrainer von Nottingham Forest, hat einmal gesagt: Taktik ist etwas für schlechte Spieler – und er hat recht“, meint Magath. Für ihn werden die heutigen Profis zu oft in Systeme gepresst, anstatt sie ihr Talent ausleben zu lassen.
Auf die Mischung kommt es an, zwischen Disziplin und Kreativität sowie zwischen Jung und Alt in einer Mannschaft. Nahezu perfekt verband Magath diese Elemente beim VfB Stuttgart. Von Februar 2001 bis Juni 2004 war er Chefcoach an der Mercedesstraße in Bad Cannstatt. „Es war meine schönste Trainerzeit“, sagt Magath. Sportlich, weil er nach bestandenem Abstiegskampf ein Team entwickelte, das in die Champions League stürmte. Privat, weil sich die Familie sehr wohl fühlte.
Es passte alles, obwohl Magath erst vom damaligen Manager Rolf Rüssmann überzeugt werden musste, nach Stuttgart zu kommen. Als Nachfolger von Ralf Rangnick, der zuvor im Uefa-Cup gegen Celta de Vigo mit dem VfB ausgeschieden war. Als Retter wurde der Europameister von 1980 und zweifache Vizeweltmeister (1982 und 1986) engagiert – und erfüllte wie an jeder anderen Bundesliga-Station seine Mission.
Auf wundersame Weise wurde Stuttgart zum Wendepunkt. Trotz der schwäbischen Art, einen Verein zu führen, wie Magath süffisant anzumerken weiß. „Der VfB hatte kein Geld, als ich dort angefangen habe. Es hieß immer, bevor man eine Überweisung tätigen könne, müsse man erst bei der Bank anrufen“, erzählt Magath. Mittel für Transfers waren nicht vorhanden. Die Jungen Wilden mit Timo Hildebrand, Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi, Philipp Lahm, Alexander Hleb, Ioannis Amanatidis und Timo Wenzel wurden entdeckt. Gestützt von den Leitwölfen Krassimir Balakov und Zvonimir Soldo.
„Die jungen Spieler haben die Energie in die Mannschaft reingebracht, die älteren haben sie geführt“, sagt Magath, der ein besonderes Verhältnis zu Balakov und Soldo pflegte. Mit ihnen tauschte er sich vor jeder Partie aus. Die beiden Routiniers drängten den Chefcoach zu Saisonbeginn 2001/2002, Hleb in die die VfB-Elf einzubauen. Magath war der Weißrusse bis dahin zu wirr in seinen Aktionen, doch Hleb nutze seine Chance am vierten Spieltag beim 1. FC Nürnberg (4:2) mit einer überragenden Leistung.
Von da an wirbelte Hleb (später FC Arsenal, FC Barcelona) die gegnerischen Reihen mit seinen Tempodribblings durcheinander. „Alex Hleb hat den beiden viel zu verdanken“, sagt Magath, der über Balakov und Soldo noch immer voll des Lobes ist. „Ich verstehe nicht, warum Krassimir Balakov in Stuttgart bis heute nicht die Anerkennung erhält, die er verdient. Er war ein Weltklassespieler und für mich als Trainer pflegeleicht.“ Über Soldo sagt er: „Überragend. Ich habe keinen Spieler gesehen, der wie er mit dem ersten Kontakt den Ball gleich so gut nach vorne gespielt hat. Er war im Mittelfeld immer Herr der Situation.“
Mit Soldo und Hleb erlebte Magath im Oktober 2003 ein besonderes Spiel an der Seitenlinie – gegen Manchester United in der Champions League. „Die Atmosphäre war bei Flutlicht elektrisierend – und wir haben 2:1 gewonnen“, erinnert sich Magath an diesen Höhepunkt. Dennoch zog es ihn fort. Weil er die Meisterschaft gewinnen wollte und der VfB nicht bereit war, weiter in die Mannschaft zu investieren. Zu tief saß im Club der Schock, als die Stuttgarter kurz zuvor finanziell beinahe kollabiert wären.
Es ging weiter zum FC Bayern, wo Magath mit den Münchnern zweimal hintereinander das Double gewann. Bis heute gibt es keinen Trainer, dem das gelungen ist – ein Vereinsrekord beim Rekordmeister. Zurück blieb die Erkenntnis, „dass mir der Job beim VfB auf den Leib geschneidert war“, wie Magath sagt. Er entwickelte junge Spieler, er formte eine Mannschaft, und er ließ guten Fußball spielen. Nichts anderes hat der 70-Jährige als Trainer auch jetzt im Sinn.