Der nächste Musterschüler

Angelo Stiller steht vor einem Wechsel zum VfB. Der Trainer Sebastian Hoeneß schätzt den Mittelfeldspieler schon länger.

Von Carlos Ubina

Stuttgart - Angelo Stiller ist kein Typ, der sich wegduckt. Als die deutsche U-21-Nationalmannschaft vor knapp zwei Monaten bei der EM nach der Vorrunde ausgeschieden war, da stellte sich der Mittelfeldspieler hin und versuchte, die enttäuschende Leistung zu erklären. Ohne um den heißen Brei herumzureden oder das schwache Abschneiden zu entschuldigen. Als einer der wenigen in diesem bitteren Moment.

Stiller scheint also seine Qualitäten zu haben, nicht nur auf dem Fußballplatz. Mit erst 22 Jahren will er Verantwortung übernehmen. Das ist sein Anspruch – und der VfB Stuttgart übt dahingehend einen Reiz aus. Denn Trainer Sebastian Hoeneß sucht nicht nur einen sportlichen Ersatz für den abgewanderten Wataru Endo (FC Liverpool), sondern ebenso einen Spieler, der in eine Führungsrolle hineinwachsen kann.

Vor dem Auswärtsspiel an diesem Freitag (20.30 Uhr) bei RB Leipzig wollte sich Hoeneß jedoch nicht konkret zu Stiller äußern. Aus eigener Erfahrung weiß er allerdings, dass der gebürtige Münchner diese doppelte Herausforderung meistern kann. Hoeneß kennt den Mittelfeldspieler ja schon aus seiner Zeit in der Nachwuchsabteilung des FC Bayern, anschließend arbeiteten sie in der Bundesliga bei der TSG Hoffenheim zusammen.

Zufall ist das nicht, da Hoeneß bei möglichen Zugängen zunächst natürlich auf das Spielerprofil schaut. Er erinnert sich aber offenbar gerne an ehemalige Schützlinge – wie etwa Woo-yeong Jeong, der vom SC Freiburg zum VfB kam. Und wie bei dem amerikanischen Abwehrspieler Chris Richards (Crystal Palace), über dessen Verpflichtung an der Mercedesstraße nachgedacht wird. Coach und Spieler kennen sich ebenfalls seit ihrer gemeinsamen Zeit auf dem Bayern-Campus.

Jetzt soll Stillers Wechsel bevorstehen, da der Sportdirektor Fabian Wohlgemuth beim Verhandlungspoker über die Ablösesumme einen Durchbruch erzielt hat. Bis 2025 steht Stiller bei den Hoffenheimern unter Vertrag. „Der Transfer ist noch nicht durch. Es gab aber sehr konkrete Gespräche und kann schnell gehen“, sagt Pellegrino Matarazzo vor dem Spiel beim 1. FC Heidenheim am Samstag. Möglicherweise ist der defensive Mittelfeldmann gegen den Aufsteiger nicht mehr dabei. Zuletzt hatte der TSG-Trainer Stiller zweimal in die Startelf beordert. Ein Zeichen gestiegener Wertschätzung nach Monaten als Ergänzungsspieler, und Alexander Rosen, der Manager der Kraichgauer, hatte damit geliebäugelt, einen zweistelligen Millionenbetrag für ihn zu kassieren.

Laut dem Fachmagazin „Kicker“ soll sich die Ablöse für Stiller aber bei sieben Millionen Euro eingependelt haben. Eine Summe, die beim VfB gerade noch darstellbar ist. Trotz der hohen Transfereinnahmen für Wataru Endo (20 Millionen Euro plus Boni) und Konstantinos Mavropanos (20 Millionen Euro plus Boni/West Ham United). Dieses Geld ist aber auch dazu da, finanzielle Löcher zu stopfen. Nur ein Teil fließt wieder in die Mannschaft. Zumal die Stuttgarter in Vorleistung gegangen sind und vor den Verkäufen der Stammkräfte in den Kader investiert hatten.

„Wir haben zwei absolute Leistungsträger verloren“, sagt Hoeneß zur Personalsituation, stellt jedoch ebenso klar: „Wir werden sicher nicht in der Lage sein, sie eins zu eins zu ersetzen.“ Auch aus wirtschaftlichen Gründen, wie beim VfB stets betont wird. Aber: „Wir brauchen Ersatz – quantitativ, aber auch qualitativ“, sagt der Trainer, der beim Ligaauftakt gegen den VfL Bochum (5:0) eine Tandemlösung nach Endos Weggang parat hatte. Mit dem Techniker Enzo Millot auf einer defensiveren Position als zuvor und Woo-yeong Jeong in einer offensiven Rolle.

Gegen die schnellen und spielstarken Leipziger könnte diese Mischung mit Atakan Karazor im zentralen Mittelfeld jedoch zu wenig Stabilität versprechen. Einerseits. Andererseits wäre es eine mutige Aufstellung. Denn der Champions-League-Teilnehmer und Pokalsieger ist ein anderer Maßstab als die schwachen Bochumer. Obwohl die Stuttgarter ja als Tabellenführer selbstbewusst anreisen. Doch das ist nur ein netter Nebenaspekt. „Ich glaube, eine angemessene, positive Stimmung wahrgenommen zu haben“, sagt Hoeneß, der nicht zu Euphorie neigt. Der Trainer bleibt realistisch und will zur Verstärkung bald schon seinen einstigen Musterschüler Angelo Stiller in den VfB-Reihen sehen – um den Verlust von Wataru Endo besser aufzufangen.

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Erstellt:
24. August 2023, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
25. August 2023, 20:43 Uhr

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