Rezension von Prinz Harrys Buch „Spare“
Die Rache des Zweitgeborenen
Die intimsten Details und härtesten Vorwürfe sind bereits in der Welt, jetzt liegt Prinz Harrys „Spare“ („Reserve“) in den Buchhandlungen. An Pathos hat der Königssohn nicht gespart.

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„Spare“ (auf Deutsch: „Reserve“), das Buch von Prinz Harry, liegt jetzt in den Buchläden.
Von Theresa Schäfer
„Für Meg und Archie und Lili... und natürlich für meine Mutter.“ So lautet die Widmung, die Prinz Harry seinem Buch „Spare“ (zu Deutsch: „Reserve“) vorangestellt hat. Dazu ein Zitat des amerikanischen Schriftstellers William Faulkner: „Das Vergangene ist niemals tot. Es ist nicht einmal vergangen.“ In Harrys Fall hat das Vergangene offenbar jahrelang geschwelt – und bricht nun auf wie eine eitrige Wunde. Schmerzen bereitet das vor allem der royalen Familie.
Durch einen Fehler spanischer Buchläden, die die Memoiren des Zweitgeborenen des britischen Königs Charles III., zu früh in die Regale legten, sind die intimsten Geständnisse und härtesten Vorwürfe schon seit vergangener Woche in der Welt. Genüsslich zitierte die britische Presse, die sich das Buch in Spanien besorgt hatte, die skandalträchtigsten Anekdoten: Harry schnupfte Kokain, verlor seine Unschuld hinter einem Pub, sein Bruder William soll mehrmals handgreiflich geworden sein.
Seit Dienstag kann man die Memoiren des Prinzen jetzt auch offiziell erwerben. In London öffneten einige Buchläden extra schon um Mitternacht für den Verkauf.
Zu Beginn des Buches beschreibt Harry ein Treffen im Park von Frogmore mit seinem Vater und seinem Bruder William nach der Beerdigung von Prinz Philip im April 2021. Er habe damit versucht, einen Ausweg aus dem verfahrenen Familienzwist zu finden. Während er auf Charles und William wartet, sinniert Harry über den abgedankten König Edward VIII. und dessen Frau Wallis Simpson. Kaum etwas könnte passender sein. Als sein Urgroßonkel wegen seiner Liebe zu der zweifach geschiedenen Wallis abdankte, stand die Monarchie am Abgrund. So wie es aussieht, versucht Harry gerade, ihr zumindest einen kräftigen Schubs zu verpassen.
„Macht mir meine letzten Jahre nicht zur Hölle“
Bei dem Spaziergang durch den Park habe Charles seine Söhne angefleht: „Bitte, Jungs – macht mir meine letzten Jahre nicht zur Hölle.“ Ob der König sich gerade fühlt, als ginge er durchs Fegefeuer? So früh in seiner Regentschaft, auf die er so lange hat warten müssen? Man kann darüber nur spekulieren, denn vom Palast gibt es keine offizielle Reaktion auf Harrys Werk.
Britische Medien berichten, eine „rote Linie“ sei für den König Kritik an seiner Frau, „Queen Consort“ Camilla. Harry legt in seinem Buch nahe, in ihrem Auftrag seien negative Details über ihn an die Presse durchgestochen worden, um sie in einem besseren Licht erscheinen lassen. Camilla, die – das räumt er zumindest ein – seinen Vater wirklich glücklich mache, habe Harry „auf ihrem persönlichen PR-Altar geopfert“.
Sein Buch hat Harry zusammen mit dem Ghostwriter J.R. Moehringer verfasst. Der US-amerikanische Autor – ausgezeichnet mit dem renommierten Pulitzer-Preis – hat gefeierte Romane geschrieben: „Tender Bar“ über seine unkonventionelle Kindheit und Jugend auf Long Island (2021 von George Clooney verfilmt) und „Knapp am Herz vorbei“ über den Gentleman-Bankräuber Willie Sutton.
Haarscharf am Kitsch vorbei
Harrys Buch kommt aber, wenn man es mit Moehringers anderen Werken vergleicht, oft ziemlich pathetisch daher: „Wie konnte es sein, dass ich sie sehen konnte“, heißt es in „Spare“ über seine verstorbene Mutter Diana. „So deutlich wie den Schwan, der auf dem tiefblauen See auf mich zuglitt? Wie konnte ich immer noch ihr Lachen hören, so laut wie das Lied der Singvögel in den kahlen Bäumen?“ Das geht haarscharf am Kitsch vorbei.
Das volle Mitgefühl seiner Leserinnen und Leser hat Harry ganz sicher auf seiner Seite, als er vom Tod seiner Mutter berichtet. Nicht kitschig, sondern erschütternd und roh sind diese Erinnerungen. Wie sein Vater im Morgengrauen an sein Bett tritt, um ihm die Nachricht zu überbringen, dass Diana in Paris tödlich verunglückt ist. Wie er dann durch Schloss Balmoral streift, unfähig zu weinen, ein Zwölfjähriger offenbar praktisch allein gelassen mit seiner Trauer. Wie er in einer jähen Hoffnung glaubt, seine Mutter könnte den Unfall nur vorgetäuscht haben, um ihre Jäger, die Paparazzi, ein für alle mal abzuschütteln. Wie viel Überwindung muss es dieses Kind gekostet haben, vor dem Kensington Palace Fremden die Hand zu schütteln und hinter dem Sarg seiner Mutter durch Londons Straßen zu gehen?
Doch dann strapaziert Harry das Diana-Motiv auch wieder. Vergleicht das Engagement seiner Mutter für Kriegswaisen und ihren Kampf gegen den Einsatz von Landminen mit der Friedensmission, die er in Frogmore antritt – zur Lösung eines Familienkrieges, an dem er zumindest nicht ganz unschuldig ist. Es ist, als beanspruche er für sich, der wirkliche Erbe Dianas zu sein, der einzige Erbe.
Einige hübsche, ja liebevolle Anekdoten sind aber auch in „Spare“ versteckt: Prinz Charles morgendliche Kopfstände zum Beispiel, die er machte, um seine Rückenschmerzen zu lindern. Prinz Philips Grillabende und die Salatsoße der Queen, offenbar ihre Spezialität. Halsbrecherische Jetski-Rennen der Prinzen (die sich gegenseitig liebevoll „Harold“ und „Willy“ nennen) an der französischen Côte d’Azur. Es sind Lichtblicke in diesen Erinnerungen, die über große Strecken so vorwurfsvoll und anklagend daherkommen.
„Der Schattenmann, die Stütze, der Plan B“
Der Titel „Spare“ ist nicht zufällig gewählt: Er bezieht sich auf die Rede vom „heir and a spare“, die Königsgemahlinnen über Jahrhunderte zu gebären hatten: einen Erben und einen Ersatz, sollte dem Erstgeborenen etwas zustoßen. Was aus vielen Passagen des Buches klingt: Harry hatte mit dieser Position in der Königsfamilie ein echtes Problem. Hier nimmt einer Rache, der sein Leben lang das Gefühl hatte (und es von seinen Nächsten offenbar auch vermittelt bekam), er sei „der Schattenmann, die Stütze, der Plan B. Ich wurde geboren für den Fall, dass Willy etwas zustieß“.
In mehreren TV-Interviews hat der 38-Jährige wortreich erklärt, warum er dieses Buch schreiben musste. Einen Vorwurf konnte er aber nicht ausräumen: Dass er mit dem Buch und der sechsteiligen Netflix-Serie „Harry&Meghan“ das Privatleben, das er doch angeblich schützen will, versilbert und damit den Faustischen Pakt mit den Medien, den seine Familie einst schloss, nur erneuert. Es ist offenbar ein Handel, den er bereit ist einzugehen. In einem seiner Interviews formulierte er es so: „Ich akzeptiere vollkommen, dass das Buch zu schreiben bedeutet, das Monster zu füttern.“

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Ein „Blind Date“ führte sie einst zusammen. Rasch merkten Meghan und Harry, dass sie viel verbindet – unter anderem eine alles andere als unkomplizierte Familiengeschichte.

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Henry Charles Albert David - von allen nur Harry genannt - kommt 1984 zur Welt.

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Es ist der zweite Sohn für das britische Kronprinzenpaar Charles und Diana. Für Harry bedeutet das ein Leben im Schatten seines großen Bruders William, des Thronfolgers.

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Doch die Ehe von Diana und Charles ist nicht so märchenhaft, wie sie von außen scheint. Die Windsors führen eine Ehe zu dritt: Charles betrügt Diana mit seiner Jugendliebe Camilla Parker Bowles – und auch die Prinzessin ist nicht immer treu.

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William und Harry müssen erleben, wie die Ehe ihrer Eltern in die Brüche geht. 1992 geben Diana und Charles die Trennung bekannt. Nach einem Rosenkrieg um Abfindung und Sorgerecht reichen Diana und Charles 1996 endgültig die Scheidung ein.

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William und Harry leben abwechselnd bei ihrer Mutter und ihrem Vater. Nach der Scheidung begegnen sich auch die Eltern wieder auf freundschaftlichem Fuß. Doch bald folgen dunkle Stunden . . .

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Harry ist erst zwölf Jahre alt, als seine Mutter in Paris bei einem Autounfall ums Leben kommt. 2007, bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach ihrem Tod, sagt der mittlerweile 22-Jährige: „Sie war einfach die beste Mutter in der Welt. Wir vermissen sie.“

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Ganz Großbritannien sorgt sich um die jungen Prinzen. Wie es in den Jungen nach dem Tod ihrer geliebten Mutter aussieht, weiß kaum jemand.

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Dianas Tod schweißt Prinz Charles und seine Söhne wieder enger zusammen. Doch während William seine Rolle als Thronfolger perfekt ausfüllt und – zumindest öffentlich – nicht rebelliert, entwickelt sich Harry zu Prinz Charles’ Sorgenkind.

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Mal wird er sturztrunken im Londoner Nachtleben gesichtet, dann wieder muss er zugeben, Cannabis konsumiert zu haben. Diese Skandälchen sind für die britische Klatschpresse ein gefundenes Fressen.

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Nach diesen Eskapaden wird es dem britischen Königshaus zu bunt: Harry schreibt sich 2005 in der Militärakademie Sandhurst ein. Insider munkeln, dass dieser Schritt nicht ganz freiwillig erfolgte.

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Doch die Disziplin beim Militär bekommt dem Prinzen. Zweimal dient der gelernte Hubschrauberpilot in Afghanistan – unter höchster Geheimhaltung. 2015 kehrt Harry dem Militär schließlich den Rücken.

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Wie seine Mutter setzt sich auch Harry für die Armen und Kranken ein: Beobachter meinen in dem jüngeren der Brüder mehr von Dianas Herzlichkeit und Charisma zu entdecken, während William sich eher in royaler Zurückhaltung übt und versucht, seiner Rolle als ständig beobachteter Royal gerecht zu werden.

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Sein Herzensprojekt werden die „Invictus Games“, für die er prominente Mitstreiterinnen wie die frühere US-First Lady Michelle Obama gewinnen kann.

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Sein Engagement für soziale Projekte verbindet ihn mit der Frau, die 2016 bei einem „Blind Date“ Harrys Herz erobert: Meghan Markle.

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Der US-Fernsehstar, bekannt aus der Anwaltsserie „Suits“, ist drei Jahre älter als Harry – und geschieden.

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Ihren ersten offiziellen Auftritt als Paar haben Harry und Meghan im Herbst 2017 bei den „Invictus Games“. Ein klares Zeichen, dass die Verlobung nicht mehr lange auf sich warten lässt . . .

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Im November 2017 grüßen als Verlobte: Meghan Markle und Prinz Harry. Im BBC-Interview erzählen sie von ihrem Kennenlernen und dem Heiratsantrag, für den der Blaublütige ganz standesgemäß vor seiner Freundin in die Knie ging.

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Die Braut ist den professionellen Auftritt vor den Kameras gewohnt. Eine TV-Karriere ist sicher keine schlechte Vorbereitung für das Leben, das auf Meghan als Mitglied der Königsfamilie wartet.

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Im Anschluss an die Verlobung touren Harry und Meghan durchs Land – der Prinz zeigt seinen Landsleuten seine Braut, die künftige Herzogin.

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Die Briten sind begeistert von der zugewandten Amerikanerin, die sich wenig ums Protokoll schert und auch vor Umarmungen nicht zurückschreckt.

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Einen Schatten auf das royale Liebesglück werfen rassistische Schmähungen, die sich auf Meghans afroamerikanische Wurzeln beziehen. Sogar Scotland Yard muss ermitteln.

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Und auch Meghans Familie macht der Braut vor der Hochzeit zu schaffen: Nicht nur die Halbgeschwister sorgen für Störfeuer, Meghans Vater führt einen wahren Eiertanz um seine Teilnahme an der Hochzeit auf.

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Schließlich ist von der amerikanischen Familie nur Doria Ragland mit dabei, . . .

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. . . als ihre Tochter Meghan am 19. Mai 2018 auf Schloss Windsor Prinz Harry das Jawort gibt.

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Aus Meghan Markle wird mit ihrer Hochzeit Meghan, Herzogin von Sussex.

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Die Sussexes verlieren keine Zeit: Am ersten Tag ihrer großen Südpazifiktour bestätigt der Kensington-Palast, dass Meghan ein Baby erwartet.

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In den folgenden Monaten kann man dem herzoglichen Bauch beim Wachsen zusehen. Bald trägt die Herzogin eine beachtliche Babykugel durch die Gegend.

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Kurz vor der Geburt von „Baby Sussex“ wechseln Harry und Meghan auch noch den Wohnsitz: Sie wollen ihr Baby nicht im Londoner Kensington-Palast großziehen, sondern im beschaulichen Windsor.

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Für viel Geld wird in Windsor „Frogmore Cottage“ renoviert. Der Umzug sorgt für reichlich Spekulationen: Verstehen sich die Sussexes nicht mehr mit William und Kate?

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Am 6. Mai 2019 kommt Master Archie Harrison Mounbatten-Windsor zur Welt. Einen Titel hat der Kleine nicht – er soll möglichst privat aufwachsen.

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Jetzt zu dritt machen die Sussexes sich rar: So gibt es von Archies Taufe beispielsweise nur zwei offizielle Fotos. Auch die Namen der Paten behalten Meghan und Harry für sich.

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Waren die Jung-Royals an Beliebtheit eigentlich kaum zu übertreffen, bekommt der „Markle Sparkle“ jetzt erste Kratzer: So predigt das Paar zwar in Interviews und öffentlichen Statements Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein, jettet aber selbst im privaten Flieger für Urlaubsreisen durch Europa.

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Eine Reise nach Afrika soll das Bild des Paares im September 2019 wieder aufhübschen.

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Hier zeigen Meghan und Harry endlich auch wieder den kleinen Archie in der Öffentlichkeit –. . .

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. . . der Mini-Sussex trifft in Kapstadt Friedensnobelpreisträger Desmon Tutu.

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In der TV-Dokumentation „An African Journey“ versuchen Meghan und Harry dann erst gar nicht mehr, den Frust wegzulächeln: Harry bekennt, dass er und sein Bruder William sich entfremdet haben. Meghan offenbart indes, wie sehr sie unter der Medienberichterstattung über ihre junge Familie leidet.

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Über die Weihnachtsfeiertage nehmen sich Meghan und Harry eine Auszeit in Kanada. Hier reift ein Entschluss, der wohl die logische Konsequenz der Entwicklungen der letzten Monate ist: . . .

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Im Januar 2020 teilen Prinz Harry und Herzogin Meghan einer überraschten Öffentlichkeit mit, dass sie aus der ersten Reihe zurücktreten und nicht länger zu den „senior members“ der royalen Familie gehören wollen.

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Wie viel die Queen, Prinz Charles und Prinz William von dieser Entscheidung vorher wussten, darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Palastmitarbeiter kolportieren, Harry habe seine Großmutter erst in letzter Minute informiert.

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Am 31. März 2020 ist „Megxit“-Tag: Meghan und Harry übernehmen von nun an keine offiziellen Aufgaben mehr fürs britische Königshaus. Nach einem Zwischenaufenthalt in Kanada werden die Sussexes in Kalifornien sesshaft.

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In einem viel beachteten Interview mit Oprah Winfrey sprechen Meghan und Harry im März 2021 über die Gründe, die zu ihrem Rückzug führten. Darin wirft das Paar dem Palast und der Königsfamilie auch rassistische Tendenzen vor.

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Im Juni 2021 werden Meghan und Harry zum zweiten Mal Eltern: Lilibet Diana, benannt nach ihrer Urgroßmutter und ihrer Großmutter, kommt in den USA zur Welt.

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Dank millionenschwerer Deals mit Unternehmen wie Netflix oder Spotify haben Meghan und Harry inzwischen auch die finanzielle Unabhängigkeit erreicht, die sie angestrebt hatten.

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Inzwischen führen die Sussexes eher das Leben von US-amerikanischer „Power Couples“ – mehr Obama oder Cloney als Windsor.