Die Rechten unterschätzt

Die IG-Metall-Führung sortiert sich neu. Sie muss auch gegen den Rechtspopulismus an der Basis vorgehen.

Die künftige IG-Metall-Chefin will den Beschäftigten mehr Sicherheit geben, um die AfD klein zu halten.

© dpa/Arne Dedert

Die künftige IG-Metall-Chefin will den Beschäftigten mehr Sicherheit geben, um die AfD klein zu halten.

Von Matthias Schiermeyer

Stuttgart - Die multiple Krisenlage hat Deutschland fest im Griff. Damit einhergehend verfestigt sich eine Stimmung, die insbesondere gegen die Bundesregierung und gegen Ausländer gerichtet ist. Der Rechtspopulismus greift um sich; besonders gefährlich ist es für die Parteien der Mitte, dass viele Menschen die Scham abgelegt haben, die AfD gutzuheißen. In deren Aufschwung ein vorübergehendes Phänomen zu sehen, nur weil sie keine tragfähigen Konzepte hat, wäre daher töricht.

Die Gewerkschaften verstehen sich als Bollwerk gegen die Rechten – vor allem die IG Metall, deren Führung sich an diesem Montag beim Bundeskongress neu aufstellt. Sie stehen für Solidarität – auch mit denen, die aus der Fremde zu uns kommen. Als Multikultiorganisationen können sie auch gar nicht anders, als das Miteinander zu leben.

Doch das Fundament bekommt dicke Risse. Denn die Transformation macht schwer zu schaffen: Automobilzulieferer etwa verlagern Produktion in sogenannte „Best-Cost-Countries“, wo die Bedingungen günstiger sind. Die Deindustrialisierung schreitet voran. Immer mehr Werke melden mangels Auslastung Schichten ab, und Sparprogramme werden vor allem dort aufgelegt, wo die Energiekosten zu schaffen machen. Die Pleiten nehmen zu. All dies vergrößert die Sorge der Beschäftigten um ihre Jobs. In der Folge haben die Gewerkschaftsführer einen immer schwereren Stand, die Basis von der Mobilitäts- und Klimawende zu überzeugen. Immer öfter wird die Frage gestellt, ob der Klimaschutz unser aller Wohlstand gefährdet.

Die Verunsicherung greift auch außerhalb der Industrie um sich: Obwohl die Inflation leicht zurückgeht, bleibt die Konsumlaune mau – zu tief sitzt der Preisschock. Wissenschaftler erkennen eine Stabilisierung der finanziellen und wirtschaftlichen Ängste, was sich in Vertrauensverlusten der etablierten Parteien und der Ablehnung des Flüchtlingszuwachses niederschlägt. Die Gewerkschaften haben den Zuspruch der Arbeiter und Angestellten für die AfD unterschätzt – insofern sind entsprechende Bekenntnisse beim Kongress ein Offenbarungseid. Die Selbstentzauberung der Partei mit ihren neoliberalen bis nationalistischen Ideen ist ausgeblieben. IG Metall, Verdi & Co. sind auch nicht dadurch vor den Rechten gefeit, dass ein erheblicher Anteil ihrer Mitgliedschaft ausländische Wurzeln hat. Wie man bei den Wahlen in der Türkei gesehen hat, als der Machthaber Erdogan viel Rückhalt der Deutsch-Türken erhielt, gibt es unter Migranten den Hang zu schlichten Parolen und autokratischen Führern.

Was lässt sich tun, um das Auseinanderdriften der Gesellschaft einzudämmen? Keine andere Masseninstitution hat eine solch verbindende Kraft wie die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte. In erster Linie können sie durch eine offensive Politik und die Beteiligung der Basis mehr Zuversicht vermitteln. Sicherheit sei das beste Mittel gegen rechts, sagt Christiane Benner, die künftige Vorsitzende der IG Metall – völlig korrekt.

Bezeichnend ist auch ein Umfrageergebnis des ZDF-Politbarometers: Demnach finden die Anhänger aller Parteien (außer Grüne) mehrheitlich, dass es in diesem Lande sozial eher ungerecht zugeht. Aufgabe der Arbeitnehmervertreter ist es, für einen Ausgleich zu sorgen; Rechtsextremisten hingegen spalten. Da sind alle gefordert. Statt in Alarmismus zu verfallen, sollte die Wirtschaft den Beschäftigten Perspektiven aufzeigen, wie sie die Arbeitsplätze erhalten wollen. Zukunftsstrategien helfen gegen Verzagtheit und Extremismus. Die Politik wiederum muss den Unternehmen Bedingungen bieten, die Investitionen und den Erhalt der Arbeitsplätze hierzulande lohnend machen. Der Staat ist gefordert – aber niemand sollte sich auf ihn allein verlassen.

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Erstellt:
22. Oktober 2023, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
23. Oktober 2023, 21:56 Uhr

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