Die Ruhe vor dem Transfersommer
Der große Umbruch ist beim VfB Stuttgart bislang ausgeblieben.In den kommenden Wochen könnte sich das Gesicht der Mannschaft allerdings noch merklich verändern – was Abgänge, aber auch Zugänge betrifft.
Von David Scheu
Stuttgart - Neue Gesichter zum Auftakt? Beim VfB Stuttgart wird sich das Ganze in engen Grenzen halten, sofern nicht noch völlig verrückte Dinge passieren bis zum Trainingsstart an diesem Donnerstag (15 Uhr). Zum Team dazugestoßen sind bislang lediglich Maximilian Mittelstädt (Hertha BSC) sowie die Talente Jovan Milosevic (FK Vojvodina Novi Sad) und Luan Simnica (1. FC Köln) – wobei die beiden Youngster auch gleich wieder verliehen werden könnten.
Auch in puncto Abgänge kommt die Liste übersichtlich daher: Verkauft hat der VfB nur Ersatztorhüter Florian Müller (SC Freiburg) – und darüber hinaus drei auslaufende Verträge (Tanguy Coulibaly, Tiago Tomas, Antonis Aidonis) nicht verlängert sowie Rückkehrer Matej Maglica an Darmstadt 98 verliehen. Ansonsten ist das Gerüst des Kaders noch dasselbe wie vor vier Wochen, als in der Relegation die Rettung gelang. Große Transfers? Fehlanzeige.
Ein Umbruch sieht fraglos anders aus – von einem solchen jedoch war in den vergangenen Monaten immer wieder die Rede gewesen. Fällt er jetzt aus, weil der VfB durch den Klassenverbleib und den Millionendeal mit Porsche und MHP mehr finanziellen Spielraum erhalten hat? Weil sich der Handlungsbedarf durch den starken Saisonendspurt vielleicht doch nicht als ganz so gravierend herausgestellt hat? „Seit dem Einstieg des Trainerteams um Sebastian Hoeneß hat es eine Entwicklung gegeben, die Mut macht“, sagt auch der Sportdirektor Fabian Wohlgemuth in einer am Dienstag veröffentlichten Saisonanalyse. Deshalb aber von einem ruhigen Sommer auszugehen, wäre dennoch voreilig.
Denn die Transferperiode ist noch jung – und der Kader zum Trainingsauftakt stets ein Provisorium. Das Wechselfenster bleibt bis zum 1. September geöffnet, wenn schon die erste Runde im DFB-Pokal und zwei Ligaspiele absolviert sind. Und der heißeste Transfermonat ist ohnehin der August.
Das verdeutlicht auch der Blick zurück: Vor rund einem Jahr startete der VfB ganz ohne externen Neuzugang in die Saisonvorbereitung, ehe das Wechselkarussell mit jeder Woche mehr Fahrt aufnahm. Die ganz großen Transfers – der Abgang von Topstürmer Sasa Kalajdzic und die Verpflichtung von Serhou Guirassy als dessen Ersatz – gingen sogar erst auf den letzten Drücker über die Bühne. Auf eine Wiederholung dieser Hängepartie dürfte zwar keiner der Beteiligten große Lust haben, auszuschließen ist das aber mitnichten. Weil der VfB nach wie vor von Angeboten größerer Clubs abhängig ist.
Daran ändern auch die neuen Millionen von Porsche und MHP kaum etwas, die nicht nur in den Kader fließen werden – sondern den Verein insgesamt nach zwei Abstiegen und der Coronakrise finanziell auf solide Beine stellen sollen. Es gehöre nach wie vor dazu, betont Vorstandschef Alexander Wehrle, „dass wir Spieler ausbilden oder entwickeln, die irgendwann anderswo den sportlich oder finanziell nächsten Schritt gehen wollen und dann den VfB verlassen“. Unter einer Bedingung: „Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für uns attraktiv sind.“ Heißt: Ein besonders lukratives Angebot aus der finanzstarken englischen Premier League für Spieler wie Konstantinos Mavropanos oder Borna Sosa würde man in diesem Sommer nicht ausschlagen. Egal, ob Anfang Juli oder Ende August. Frühzeitige Gewissheit ist deshalb keineswegs garantiert.
Das gilt auch für mögliche Zugänge. Transfers direkt nach Saisonende waren in der jüngeren Vergangenheit beim VfB ohnehin die Ausnahme, weil meist bis zuletzt Unklarheit über die Ligazugehörigkeit herrschte. In acht der vergangenen zehn Spielzeiten stand bis zum vorletzten Spieltag noch nicht fest, ob in Bad Cannstatt künftig Erst- oder Zweitligafußball zu sehen sein wird. Sechsmal war der VfB mittendrin im Abstiegskampf, zweimal im Aufstiegsrennen der zweiten Liga. Ohne Zweifel nicht die beste Ausgangslage, um frühzeitig Gespräche zu führen und Transfers einzuleiten. Ein Beispiel: Werder Bremen hatte Anfang Juni den viel beachteten Wechsel von Naby Keita (FC Liverpool) klargemacht – in derselben Woche, in der es für den VfB im Relegationsrückspiel in Hamburg noch um alles gegangen war.
Verpflichtungen sind in Stuttgart dadurch aber allenfalls aufgeschoben, nicht aufgehoben. Es werden auch in diesem Sommer neue Spieler zum VfB stoßen. In jedem Fall ein Torhüter, wobei hier eine Leihe von Alexander Nübel (FC Bayern) ein Thema ist. Auch nach erfahrenen Feldspielern hält man Ausschau. „Wir wollen mehr Selbstorganisation auf dem Platz“, sagt Wohlgemuth. Dort werde man in der Kaderplanung künftig ansetzen. In der Offensive sucht der VfB ebenfalls nach Verstärkungen, die fehlende Effizienz gilt als Manko. „Hier müssen wir deutlich zulegen“, sagt Wohlgemuth. Mit Offensivspieler Woo-yeong Jeong (23) vom SC Freiburg wäre man sich sogar schon einig – allerdings hakt es noch bei den Ablöseverhandlungen mit den Breisgauern.
Auch wenn es also an diesem Donnerstag beim Trainingsstart noch nicht danach aussehen mag: Der VfB Stuttgart wird mit einer merklich veränderten Mannschaft in seine 57. Bundesliga-Saison gehen. Bis deren Gesicht endgültig feststeht, ist aber noch Geduld gefragt. Wie eigentlich immer in den vergangenen Jahren.