Die wilde Karriere des Deniz Undav
Von Meppen über Brüssel in die Premier League – und nun zum VfB Stuttgart: Was über den Neuzugang im Sturm bekannt ist.

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Von Gregor Preiß
Stuttgart - Zumindest wettertechnisch hatte Deniz Undav am Mittwochvormittag keine Probleme, sich an seine neue Umgebung anzupassen. Mit einem Wechsel aus Niesel- und Dauerregen empfing Stuttgart den neuen Stürmer; so ähnlich also, wie es der 27-Jährige aus seiner friesischen Heimat gewöhnt ist. Und wie er das Wetter auch von der englischen Südküste kennt. Von dort wird Undav nämlich für ein Jahr ausgeliehen, genauer: vom Premier-League-Club Brighton & Hove Albion. Der VfB sicherte sich zudem eine Kaufoption.
Am Mittag absolvierte Undav den Medizincheck, am Abend wurde der Transfer bekannt gegeben. „Ich bin überglücklich, künftig in der Bundesliga zu spielen. So wie sich der VfB um mich bemüht hat, war mir schnell klar, dass ich hierher wechseln möchte“, sagte Undav. Losgelöst vom Wetter sind auch sportlich keine Eingewöhnungsschwierigkeiten zu erwarten. Der Mann ist in der Lage, sich schnell an neue Spielklassen und Vereine anzupassen. Dazu genügt ein Blick auf seine interessante Vita.
Bis vor drei Jahren spielte der 27-Jährige noch für den SV Meppen in der dritten Liga. Nach 17 Toren in der Spielzeit 2019/20 warb ihn der damalige belgische Zweitligist Royale Union Saint-Gilloise unter dem schillernden Funktionär Tony „The Lizard“ Bloom, einem ehemaligen Pokerprofi, ab. Zweite belgische Liga? Kein Problem für Undav, der den Hauptstadtclub aus Brüssel nach oben schoss. Um in seiner Premierensaison in der ersten Liga gerade so weiterzumachen, wo er zuvor in der dritten und zweiten Liga aufgehört hatte. Undav traf und traf. Und legte auch Tore auf. In der Winterpause der Saison 2021/22 stand der wendige Stürmer bei 18 Toren und zehn Vorlagen in 25 Spielen. Die Zeitschrift „11 Freunde“ überschrieb daraufhin ein Porträt über ihn mit: „Der beste Stürmer der Welt“. Was statistisch gesehen auch stimmte. „Ich habe immer versucht, geile Bälle zu spielen. Ich muss kein Tor schießen, ich mag es, Vorlagen zu geben. Das habe ich mir von Andrés Iniesta abgeschaut“, wird Undav in dem Porträt zitiert.
Lange hielt es ihn nicht in Belgien. Bloom, der Pokerspieler, ist zugleich Besitzer von Brighton & Hove Albion. Der Dienstweg von Brüssel nach Brighton war kurz, der Sprung in die Premier League dennoch ein großer. Doch auch dort konnte sich der bullige, 1,78 Meter große Angreifer behaupten und zog mit den Seagulls überraschend in die Europa League ein.
In den letzten acht Saisonspielen kam Undav auf fünf Treffer. Was nichts daran änderte, dass er meist dem Sturmduo Danny Welbeck und Joao Pedro den Vorzug lassen musste. Wie es der Zufall so will, hospitierte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß vor seinem Engagement in Stuttgart ausgerechnet bei dem Club aus der südenglischen Küstenstadt. Als Hospitant unter dem von Hoeneß hochgeschätzten Trainer Roberto de Zerbi lernte Hoeneß eben auch den Stürmer mit den stets kurz geschorenen Haaren kennen. Und besann sich noch seiner, als es darum ging, eine mögliche Nachfolgelösung für Serhou Guirassy vorzubereiten. Der Mittelstürmer beschäftigt sich ungeachtet seines erst kürzlich unterzeichneten Vertrags weiterhin latent mit anderen Clubs.
Seine Zukunft gilt als offen. Am liebsten sähen die Verantwortlichen beide im VfB-Trikot auflaufen, da sich Guirassy und Undav gut ergänzen könnten. Der eine als Vorlagengeber in vorderster Front, der andere als Vollstrecker. „Er ist ein Torjäger wie Serhou, aber mit einem anderen Fähigkeitsprofil“, sagt Sportdirektor Fabian Wohlgemuth. „Insofern ist die Verpflichtung von Deniz kein Vorgriff auf einen möglichen Abgang von Serhou.“
Mehr als ein Leihgeschäft war für den klammen Bundesligisten nicht drin. Der Marktwert des Spielers wird auf zehn Millionen Euro geschätzt – mindestens eine Liga zu hoch für den VfB, der sich immerhin auf die Fahne schreiben kann, namhafte Konkurrenz ausgestochen zu haben. So waren unter anderen Borussia Mönchengladbach, die TSG Hoffenheim und Undavs Jugendliebe Werder Bremen scharf auf den Angreifer. Vielleicht ist der VfB ja in einem Jahr in der Lage, die Kaufoption zu stemmen. Sportdirektor Wohlgemuth erläuterte seine Vorliebe für Leihgeschäfte kürzlich wie folgt: „Es geht um Risikomanagement und um wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit. Da kann ein Leihgeschäft ein Modell sein. Wenn man einen Spieler dazuholt, der motiviert ist, sich auch schnell angekommen fühlt und schnell seine Wirkung entfaltet.“
Mit anderen Worten: Wohlgemuth bevorzugt Spieler, die erschwinglich sind und (möglichst) sofort funktionieren. Spieler wie Jamie Leweling, Alexander Nübel – und eben Deniz Undav.