Ein Mann, der sich nicht traut

Was macht Olaf Scholz? Der Kanzler taucht nicht nur in der aus dem Ruder laufenden Asylpolitik unter.

Von Wolfgang Molitor

Berlin - Olaf Scholz darf sich freuen. Vor ein paar Tagen ist ihm in New York der „Weltbürgerpreis“ des Atlantic Councils verliehen worden. Zusammen mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj. Für die Verdienste der beiden um die internationale Zusammenarbeit. Aber der Bundeskanzler muss schon über den Großen Teich fliegen, um preisverdächtig zu wirken. Zu Hause lassen Lob und Anerkennung immer öfter auf sich warten.

Man muss nicht gleich das allerschwerste Geschütz auffahren, wenn man wieder einmal nicht umhinkommt, über das Auftreten, den Kurs und die Strategien des obersten Ampelmännchens der Republik zu streiten. Friedrich Merz, bisher ebenfalls kein großer Hoffnungsträger der Opposition, hat Scholz am Wochenende kurzum zum „Hauptproblem in unserem Land“ erklärt. Das ist so billig wie zu einfach. Denn wer glaubt zur Halbzeit der rot-grün-gelben Legislaturperiode noch, dass es auf den Kanzler ankommt (wie die CDU 1969 und schon damals reichlich unrealistisch unter das Plakatkonterfei von Kurt Georg Kiesinger schreiben ließ)?

Olaf Scholz jedenfalls ist keiner, der den Eindruck vermittelt, diese Regierung führen zu wollen. Unverrückbar Akzente zu setzen, Anforderungen zu formulieren, Tempo zu machen. Seine Auftritte und Statements frönen einer rhetorischen Langeweile, der man wohlgesonnen nicht einmal den Anspruch der Nachdenklichkeit attestieren möchte. Der Kanzler mag von Hause an ein stilles Wasser sein, aber er ist auch ein Musterbeispiel für die bittere Erkenntnis, dass auch die eher flach als tief sein können.

Es sind aufwühlende Zeiten. Wirtschaftlich wie demokratisch. Höchste Zeit für einen Kanzler, den vielen Orientierung und Zuversicht zu geben, die beginnen, an diesem Staat und seiner Handlungsfähigkeit zu zweifeln. Dass Deutschland international ökonomisch an Boden verliert, ist unbestritten. Dass diese Schwäche ihre Ursachen in vielen rot-grünen sozialen Tagträumen, ökologischen Irrlichtern und selbstverliebtem Eigensinn hat, auch. Mag sein, dass diese schon jetzt an sich selbst gescheiterte Ampel gar keine Führung verträgt, ja geradezu unterläuft. Aber dass Scholz fast wehrlos immer mehr eine Rolle akzeptiert, die Führungsanspruch zum politischen Hindernis werden lässt, ist so bedenklich wie gefährlich. Dazu braucht man keine alarmierenden Umfragen.

Bei den zentralen Herausforderungen steht der Kanzler an der Seite. Wie neben sich. In der verkorksten Wohnungsbaupolitik, in der ökoüberfrachteten Agrarpolitik, in der unkoordinierten Steuerpolitik, in der ausufernden Sozialpolitik. Im schlingernden Ukraine-Kurs, trotz Weltbürger-Ruhm. In der verfahrenen Migrationspolitik nicht zuletzt. Stattdessen bügelt Scholz unbestreitbare Probleme glatt, spült interne Koalitionskonflikte weich, redet Schieflagen schön.

Die SPD spürt, dass ihr dieser sprachlose Kanzler keinen Schwung verleiht. In Bayern und Hessen arbeiten die Genossen daran, in zwei Wochen die Landtagswahlpleiten möglichst weit auf Abstand zum Kanzleramt zu bringen. Aber wie soll man aus einem Passivkanzler einen Aktivposten formen?

Einen Deutschlandpakt hat Scholz wie nebenbei vorgeschlagen, um wieder auf die Beine zu kommen. Um den Vorstoß dann wieder einmal im Sande verlaufen zu lassen. Ohne Vorgaben, Angebote und Ideen, denen sich die, auf die er setzen muss, anschließen können – und die jenen unmissverständlich deutlich machen, dass man auf sie verzichten will, wenn sie sich ideologisch verbohrt ehrlichen, tragfähigen und leistbaren Lösungen zum Gemeinwohl weiter in den Weg stellen. Doch Scholz ist keiner, dem man so etwas zutraut. Auch, weil er sich wohl selbst nicht traut.

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Erstellt:
24. September 2023, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
25. September 2023, 21:57 Uhr

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