Eine Frage der Widerstandsfähigkeit

Bei der heftigen Niederlage in Leipzig zeigt sich, dass der VfB erst auf dem Weg zu einer gefestigten Mannschaft ist. Dieser Reifeprozess dauert an und erfordert, dass die Stuttgarter ein paar Stilmittel à la José Mourinho lernen.

Von Carlos Ubina

Stuttgart - Man muss sich keine größeren Sorgen um Alexander Nübel machen. Der Torhüter des VfB Stuttgart wirkte nach dem Leipziger Abend keineswegs verunsichert, nachdem er zuvor mit einer falschen Entscheidung die Niederlage des Fußball-Bundesligisten eingeleitet hatte. Vielmehr blieb er nach dem Schlusspfiff aufrecht in seiner Haltung. Er stand zu seinem Patzer. So ein Fehler passiert in seinem Beruf eben, wenn die Kollegen vor ihm unter Dauerdruck stehen und der Gegner immer stärker wird. Also, analysieren und abhaken. Weiter geht’s. Das war Nübels Botschaft.

Zurück in Stuttgart tut das heftige 1:5 von Freitag zwar noch immer weh, doch beim VfB neigen weder die Spieler noch der Trainer dazu, an der grundsätzlichen Herangehensweise zu zweifeln. Das betrifft die Begegnung mit RB Leipzig zum einen und die Saison zum anderen. „Nach der Pause haben wir Lehrgeld bezahlt. Das war brutal“, sagt Sebastian Hoeneß.

Furiose 25 Minuten genügten den roten Bullen aus Sachsen, um mit fünf Toren über die schwäbischen Gäste einfach hinwegzustürmen. Niedergetrampelt war die couragierte erste Hälfte der VfB-Elf, die noch mit einem 1:0-Vorsprung durch den Treffer von Serhou Guirassy (35.) geendet hatte. Geblieben ist Enttäuschung und die Frage, wie das Unheil so schnell seinen Lauf nehmen konnte.

Das hat natürlich viel mit der Klasse der Leipziger zu tun und ihrer wilden Entschlossenheit, die Partie zu drehen. Und bei den Stuttgartern wurde darüber diskutiert, ob der Innenverteidiger Dan-Axel Zagadou vielleicht den Ball dieses eine Mal in der 51. Minute nicht hätte auf Nübel zurückpassen sollen. Oder vielleicht etwas schärfer. Zuvor war das ja immer eine gute Idee gewesen. Doch als Benjamin Henrichs herangerauscht kam, eben nicht, weil ihn der Schlussmann unglücklich anschoss und die Kugel im VfB-Tor landete. Danach trafen noch Dani Olmo (63.), Lois Openda (66.), Kevin Kampl (74.) und Xavi Simons (76.).

Spätestens das 1:1 war jedoch der Anfang vom Ende für die Stuttgarter. Verunsicherung machte sich in den Reihen mit den grünen Trikots und dem schwarzen Brustring breit. Gerade weil Spieler wie Alexander Nübel, Dan-Axel Zagadou, aber auch Waldemar Anton, Atakan Karazor und Serhou Guirassy dem Rest des Teams keinen Halt mehr gaben. Auch sie waren der Dynamik des Geschehens in der RB-Arena nicht mehr gewachsen. Die Mittelachse brach ein – und somit das Stuttgarter Spiel.

„Ich habe selten ein Spiel erlebt, in dem man in so kurzer Zeit derart an die Wand gedrückt wird“, sagt der Sportdirektor Fabian Wohlgemuth, „ich sehe aber nicht die Gefahr, dass uns das jetzt Stabilität kosten wird.“ Wie widerstandsfähig die VfB-Mannschaft ist, bleibt dennoch eine Kernfrage. Beim 5:0-Auftaktsieg zuvor gegen einen schwachen VfL Bochum war diese Form der Stärke nicht gefordert. In Leipzig schon, da sich die Stuttgarter im Grenzbereich ihrer Möglichkeiten bewegten.

Die Spieler von RB-Trainer Marco Rose sind ja Spezialisten darin, den Gegner unter Stress zu setzen. Sie attackieren ihn systematisch von allen Seiten, um den Ball schnell zu erobern. Haben sie ihn, geht die Post beim Pokalsieger nach vorne ab. Ständig. Das kann selbst den Rekordmeister FC Bayern München wie kürzlich im Supercupfinale fertigmachen, und den VfB allemal. Dennoch gehört zur Wahrheit des Spiels, dass die Stuttgarter zu ihrem spielerischen Ansatz noch andere Stilmittel mischen sollten, um zu einer gefestigten Mannschaft zu werden.

Dazu braucht es zu den Zauberfüßen nicht zwingend noch ein paar Eisenfüße im Kader, aber den VfB-Profis würde man gelegentlich ein Fortbildungsseminar bei den Großmeistern des kratzbürstigen Fußballs wünschen: Diego Simeone (Atlético Madrid) und José Mourinho (AS Rom). Die beiden Trainer wissen, wie der Spielfluss des Gegners zu unterbinden ist und wie sich ein Team geschlossen gegen einen übermächtig erscheinenden Kontrahenten zu stemmen hat.

Nun pflegt der VfB eine smartere Spielweise, und es ist keineswegs so, dass die Stuttgarter auf ihrem Weg, robuster und konstanter zu werden, seit April keine Fortschritte gemacht hätten. Aber der Reifeprozess, der mit dem Amtsantritt von Hoeneß verbunden ist, dauert wie bei jeder Elf länger als nur wenige Monate. Allerdings überstand die Mannschaft bereits im Abstiegskampf schwierige Momente. Nicht zuletzt die Relegation gegen den Hamburger SV.

Mental herausfordernd war das, und nach der Niederlage in Leipzig wird es das wieder am Samstag gegen den SC Freiburg. Denn das Team von Trainer Christian Streich hat nichts mehr mit den einstigen Breisgau-Brasilianern zu tun. Der Sportclub ist eine gut geölte Laufmaschine. Doch Hoeneß ist überzeugt davon, dem VfB vermitteln zu können, dass er den Glauben an den eigenen Plan und die eigene Stärke nicht zu verlieren braucht – vor allem, wenn es eng wird.

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Erstellt:
28. August 2023, 08:46 Uhr
Aktualisiert:
28. August 2023, 21:56 Uhr

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