Erstmals über Milliarde Gewerbesteuer
Die Landeshauptstadt profitiert offenbar von guten Geschäften der Unternehmen und wohl auch vom Effekt, der sich aus der Ausgliederung der Porsche AG ergibt. Ein Problem bleibt die Bugwelle schleppend umgesetzter Vorhaben: 982 Millionen Euro Investitionsmittel flossen nicht ab.

© Lichtgut/Leif Piechowski
Das Interim (hier eine Darstellung aus dem Architektenwettbewerb) für die Oper und deren Sanierung sowie der Schleyerhallen-Ersatz summieren sich wohl auf eine Milliarde Euro.
Von Konstantin Schwarz
Stuttgart - Eine Woche vor dem Start in die Sommerferien steht für den Stuttgarter Gemeinderat ein Wohlfühltermin an. Das Gremium wird am 20. Juli den Jahresabschluss für den Haushalt 2022 verabschieden. Der könne als „gut bewertet werden“, teilt Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) dem Gremium mit.
Bei einem Überschuss in Höhe von rund 336,4 Millionen Euro könnte die Benotung durch Fuhrmann als übliches geschäftsmäßiges Understatement des obersten Kassenwarts durchgehen. Allerdings war der Jahresüberschuss tatsächlich auch schon höher, 2018 erreichte er 525 Millionen Euro, seitdem ist die Stadt schuldenfrei. Der damalige OB Fritz Kuhn (Grüne) nutzte die Entwicklung, um sein Aktionsprogramm zum Klimaschutz aufzulegen. Von den 200 Millionen aus dem Fonds standen Ende 2022 noch 96 644 400 Euro zur Verteilung an.
Der Überschuss – bei der Haushaltsverabschiedung war ein Minus von 132 Millionen erwartet worden – resultiert vor allem aus sehr hohen Gewerbesteuereinnahmen. Erstmals überstiegen diese mit 1,085 Milliarden Euro die Milliardengrenze. Zunächst waren 600, im Nachtragshaushalt dann 770 Millionen erwartet worden, etwas weniger als der Spitzenwert aus dem Jahr 2017 von 773,8 Millionen. In welchem Ausmaß die sehr gut laufenden Geschäfte der Stuttgarter Autobauer zum Gewerbesteuerrekord beitrugen, bleibt ein Steuergeheimnis, die Ausgliederung der Porsche AG aus dem Volkswagen-Konglomerat war für den Stadthaushalt aber hilfreich. Deutlich über Plan (plus 64 Millionen) lagen auch die Schlüsselzuweisungen vom Land, auf der Ausgabenseite waren es zum Beispiel die Personal- und Sachkosten.
Eine neue Rekordhöhe hat 2022 auch die Bugwelle der durch den Rat beschlossenen, aber nicht abgearbeiteten Aufgaben erreicht. 982 Millionen Euro an Investitionsmitteln werden im Finanzhaushalt weiter geschoben, 221 Millionen im Ergebnishaushalt, der das laufende Geschäft abbildet, auf 2023 übertragen. In speziellen Rücklagen, zum Beispiel für Kulturneubauten wie die Oper, aber vielleicht auch die Hanns-Martin-Schleyer-Halle, den Wohnungsbau, die SSB, das Klinikum oder eben für den Klimaschutz hatten sich bis Ende 2022 noch 569 Millionen angesammelt, in (zum Teil Pflicht-)Rückstellungen waren es 720 Millionen.
Insgesamt managte die Stadt zum Stichtag 31. Dezember 2022 rund 2,8 Milliarden Euro selbst oder durch externe Vermögensverwalter. 586 Millionen Euro hatte sie an Tochterunternehmen zu banküblichen Zinsen ausgeliehen, deren Bankschulden sanken damit auf 247 Millionen Euro. Diese großen Zahlen klingen nach allgemeiner Sorgenfreiheit, doch Alexander Langemack, der Leiter der Haushaltsabteilung im Steueramt, relativiert die Momentaufnahme. Natürlich könne man alle beschlossenen Aufgaben abdecken. Auch 2023 sei finanziert. Man stehe aber vor erheblichen Herausforderungen und mittelfristig vor einem „Doppel-Wumms“. Eben hat der Rat 100 Millionen Euro pro Jahr für die Stuttgarter Straßenbahnen als Dauerlast für den Etat beschlossen, eine Stuttgart-Zulage für die Beschäftigten ist absehbar, dazu kommen zum Beispiel Opernsanierung samt Interim und womöglich der Ersatz für die Schleyerhalle. Allein diese Bauten könnten in Summe die Milliardengrenze erreichen. Den Aufwand für die Entwicklung des Wohngebiets Rosenstein nach der Inbetriebnahme des neuen -Tiefbahnhofs schätze man anhand der Werte aus der Neckarpark-Aufsiedlung in Bad Cannstatt auch auf eine Milliarde Euro oder mehr.
Die freie Liquidität aus 2022 liege für den Doppelhaushalt bei nur 58,6 Millionen, sagt Langemack, als Vorbelastung bereits beschlossen sind bis 2028 dagegen 256 Millionen Euro. Auf den 20. Juli folgt damit für den Gemeinderat der Alltag verantwortungsvollen Abwägens.