Wahl in Berlin

Franziska Giffey: Eine Überlebenskünstlerin kämpft um ihr Amt

Seit mehr als 20 Jahren stellt die SPD in der Hauptstadt den Regierenden Bürgermeister oder die Regierende Bürgermeisterin. Für Amtsinhaberin Franziska Giffey wird es bei der Wiederholungswahl am Sonntag aber knapp – aus mehreren Gründen.

Im Wahlkampf unterwegs: Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey im Gespräch mit Bürgern

© dpa/Monika Skolimowska

Im Wahlkampf unterwegs: Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey im Gespräch mit Bürgern

Von Tobias Peter

Ein Lebensmotto von Franziska Giffey lautet: „Dit könnte jehn“ – „Das könnte funktionieren.“ So verrät es die Regierende Bürgermeisterin bei einer Podiumsdiskussion wenige Tage vor der Wahl in der Hauptstadt. „Es gibt ja zwei Gruppen von Menschen“, sagt sie. Es gebe die Bedenkenträger, die einem immer erklärten, was nicht gehe. „Und dann gibt es die Möglichmacher, die einem sagen: Mensch, lass mal sehen, ob es nicht doch gehen kann.“

Was ist noch möglich für Franziska Giffey? Behält die 44 Jahre alte SPD-Politikerin ihr Amt als Regierende Bürgermeisterin in der Hauptstadt? Das ist alles andere als sicher. Viele Umfragen sehen die SPD deutlich hinter der CDU, SPD und Grüne liegen teils nah beieinander. Giffey ist zwar die mit Abstand bekannteste Kandidatin. Aber einen echten Amtsbonus konnte sie sich in rund einem Jahr im Amt noch nicht erarbeiten.

Die Wahl findet bundesweite Aufmerksamkeit, weil es eine Wiederholungswahl ist. Die SPD hatte es am 26. September 2021 mit 21,4 Prozent der Stimmen noch einmal auf Platz eins geschafft – im Windschatten der Bundestagswahl, die am selben Tag stattfand. Giffey konnte vom Bundestrend profitieren, der Olaf Scholz ins Kanzleramt beförderte.

Wie bei einem annullierten Fußball-Spiel

Giffey durchlebt also gerade das unangenehme Gefühl, das eine Fußballmannschaft haben muss, wenn ein gewonnenes Spiel annulliert wird. Nur: Der Grund, warum die Wahl wiederholt werden muss, ist peinlich für die SPD. Das Chaos mit langen Schlangen vor den Wahllokalen, fehlenden Stimmzetteln und teils verspäteter Stimmabgabe fällt voll auf die Partei zurück, die seit mehr als 20 Jahren in der Hauptstadt die Regierung führt. Es gilt die Gleichung: Blamiertes Berlin, blamierte SPD.

Der Frust vieler Bürgerinnen und Bürger über das Chaos beim letzten Mal dürfte nun zu geringerer Wahlbeteiligung führen. Dazu kommt, dass sich bei vielen Berlinern in den vergangenen Jahren das Gefühl festgesetzt hat: Egal, was sie wählen, am Ende gibt es wahrscheinlich ohnehin ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken. Und das, obwohl bei vielen das Gefühl herrscht, mit dieser Konstellation geht es in der Stadt nicht richtig voran.

Die Themen-Dauerbrenner in Berlin

Themendauerbrenner in Berlin sind die immer höheren Mieten und die Frage, wie mit dem Verkehr in der wachsenden Stadt umgegangen werden soll. Durch die Vorkommnisse der Silvesternacht – junge Menschen, viele von ihnen mit Migrationshintergrund, hatten Feuerwehrleute und Polizisten mit Böllern angegriffen – ist auch Integration in den Mittelpunkt gerückt. In einem Fragenkatalog drang die CDU darauf, die Vornamen der Verdächtigen zu erfahren. „Die CDU hat ihre rechtspopulistische Maske fallen lassen“, kommentierte daraufhin die SPD. Giffey versuchte sich als Kümmerin zu inszenieren, die auch durchgreifen kann. Ihr altes Image, das sie schon als Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln gern pflegte.

Drei Kandidaten haben Chancen, nach der Wahl die Regierung anzuführen. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner (50), derzeit Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, wird – falls seine Partei deutlich vorn liegen sollte – darauf pochen, dass der Regierungsauftrag bei der stärksten Kraft liege. Doch es dürfte nicht leicht für ihn sein, Mehrheiten zu organisieren – die gegenseitige Abneigung zwischen Grünen und CDU in der Hauptstadt ist groß.

Giffey liebt das Linksbündnis, mit dem sie regiert, nicht. Es könnte aber ihre beste Machtoption sein – und sie wird am Ende alles versuchen, um Regierende Bürgermeisterin zu bleiben. „Ich schließe nichts aus. Außer die AfD“, bekräftigte sie in den Tagen vor der Wahl zu Koalitionsoptionen. Liegt die SPD hinter CDU und Grünen auf Platz drei, dann ist Giffey aus dem Spiel. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch (54), derzeit Umweltsenatorin, wird dann versuchen, die Koalition mit SPD und Linken fortzusetzen – unter grüner Führung.

Droht Giffey im Fall der Niederlage das Karriereende? Möglich ist das. Sie hat sich aber in der Vergangenheit als politische Überlebenskünstlerin erwiesen. Giffey ist in Folge von Plagiatsvorwürfen als Bundesfamilienministerin zurückgetreten, verlor ihren Doktortitel – und trotzdem haben die Berliner sie gewählt. Ihre Lebenserfahrung ist: Irgendwas geht immer.

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Erstellt:
10. Februar 2023, 14:58 Uhr

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