Flüchtlinge
Frontex soll die Migrationswende in Europa umsetzen
Härtere Regeln bei der Einwanderung und mehr Abschiebungen – die EU-Grenzschutzagentur ist der ausführende Arm der Politik.
Von Knut Krohn
Wieder einmal kommt ein Hilferuf aus Athen. Aus Sorge vor stark steigendenden Zahlen an Migranten will Griechenland den Schutz der Grenze weiter verstärken – und fordert dafür zusätzliche Hilfen der EU. Auslöser ist die jüngste Wende in der Migrationspolitik in Berlin und die angekündigten Zurückweisungen an der deutschen Grenze.
In einem Bericht der griechischen Zeitung „Kathimerini“ wird die Befürchtung geäußert, dass dadurch die Zahl der Asylsuchenden in Griechenland stark steigen könnte. „Wir sind nicht jenes Land, das Probleme löst, die andere europäische Länder meiner Ansicht nach durch falsche Politik verursacht haben,“ sagt Regierungssprecher Pavlos Marinakis. Die griechische Regierung kündigte in diesen Tagen an, den Zaun am türkisch-griechischen Grenzfluss Evros zu verlängern und mindestens 150 zusätzliche Grenzschützer einstellen zu wollen. Dabei solle die EU helfen.
Das Hauptquartier der Agentur sitzt in Warschau
Erste Adresse für die Hilfe ist die Grenzschutzagentur Frontex mit Sitz in Warschau. Die will sich allerdings nicht dazu äußern, wie sich die Verschärfung der Migrationspolitik in Deutschland auf die Situation in anderen Staaten auswirken könnte. „Frontex konzentriert sich darauf, die nationalen Behörden beim Schutz der EU-Außengrenzen in Europa zu unterstützen“, betont ein Sprecher der Behörde. „Die Einführung anlassbezogener und vorübergehender interner Schengen-Kontrollen liegt in der Verantwortung jedes Schengen-Staates. Das Mandat von Frontex wird dadurch nicht berührt.“
Die Grenzschutzagentur rückt allerdings nicht erst seit der Ankündigung aus Berlin in den Fokus. Im Mai haben sich bereits die EU-Mitgliedstaaten auf schärfere Vorschriften im Asylrecht geeinigt. Kernelemente sind unter anderem schnelle Asylverfahren bereits an den Außengrenzen. Dort soll es einheitliche Verfahren geben, damit rasch festgestellt wird, ob Asylanträge unbegründet sind und geflüchtete Menschen dann schneller und direkt von der Außengrenze abgeschoben werden können.
Diese Pläne können allerdings nur umgesetzt werden, wenn die Kapazitäten von Frontex aufgestockt werden. Die Agentur ist seit ihrer Gründung im Jahr 2004 ständig gewachsen – vor allem in den letzten Jahren. 2020 lag das Jahresbudget noch bei 364 Millionen Euro, heute sind es 859 Millionen. Kern bei der Bekämpfung der illegalen Migration und grenzüberschreitenden Kriminalität soll das sogenannte „Standing Corps“ werden, eine bewaffnete Polizeieinheit der EU, die bis 2027 insgesamt 10 000 Männer und Frauen zählen soll. „7000 Beamte sollen von den Mitgliedstaaten nach einem Verteilungsschlüssel bereitgestellt werden und 3 000 Mitglieder des Standing Corps sollen direkt bei Frontex angestellt werden und eigene EU-Uniformen tragen“, heißt es von Frontex.
Berichte über illegale „Pushbacks“
Berichte über Schwierigkeiten beim Aufbau der Truppe weist man in Warschau weit zurück. „In Bezug auf die Rekrutierung liegen wir derzeit noch im Zeitplan“, betont der Sprecher. Allerdings werden offensichtlich die hohen Erwartungen einiger Länder an der EU-Außengrenze nicht immer erfüllt. Dort heißt es, dass das Standing Corps auch fast fünf Jahre nach seiner Gründung noch immer nicht effektiv einsetzbar sei und die Ausbildung nicht dem erwarteten Standard entspreche.
In die Schlagzeilen kommt Frontex immer wieder im Zusammenhang mit sogenannten Pushbacks – also dem Zurückdrängen von Flüchtlingen auf dem Meer durch europäische Küstenwachen.
Die Vorwürfe gibt es seit 2009, doch im Jahr 2022 wurde ein Bericht der EU-Antibetrugsagentur Olaf öffentlich. In dem Papier wurden schwere Vorwürfe gegen die damalige Frontex-Führung um Fabrice Leggeri erhoben, die Pushbacks unterstützte und vertuschte. Dabei seien auch Menschen ums Leben gekommen. Leggeri musste daraufhin zurücktreten. Der hat inzwischen eine neue Karriere eingeschlagen, bei den Europawahlen 2024 wurde der Franzose für den extrem-rechtsnationalen Rassemblement National ins EU-Parlament gewählt. Aus der Frontex-Zentrale in Warschau heißt es zu dem Thema Pushbacks eher kurz, dass die Mitarbeiter vor „ihrem Einsatz geschult und über die Verpflichtung informiert werden, jeden Verdacht auf Verstöße zu melden“.
Frontex-Boote bringen die Flüchtlinge zurück nach Nordafrika
Die Kritik von Nichtregierungsorganisationen, dass Frontex mehr tun könnte, um die Menschen in Seenot zu retten, wird mit dem Hinweis gekontert, dass „Frontex keine Rettungseinsätze auf See koordiniert“. Aus diesem Grund gibt die Agentur die von ihr gesammelten Daten über Boote mit Migranten nicht an die Schiffe der privaten Seenotretter weiter. „Wenn unsere Flugzeuge, Drohnen oder Schiffe ein Boot in Seenot entdecken, benachrichtigen wir sofort die zuständigen Behörden“, erklärt der Frontex-Sprecher. Die würden dann über was weitere Vorgehen entscheiden.
In der Realität heißt das, dass etwa die libysche Küstenwache die Boote abfängt und die Menschen zurück nach Nordafrika bringt. Menschenrechtler kritisieren, dass die Migranten dort unter unwürdigen Zuständen eingesperrt und zum Teil gefoltert würden. Das zu beurteilen aber fällt nicht mehr in den Aufgabenbereich von Frontex, die ausdrücklich nur für den Schutz der EU-Außengrenze zuständig ist.
Die Zahlen bei der illegalen Migration sinken
DatenWichtig für die Staaten an der EU-Außengrenzen sind die Daten von Frontex über aktuelle Migrationsströme. Nach diesen Angaben sinken die Zahlen der irregulären Grenzübertritte in die EU - in den ersten acht Monaten 2024 um 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Genau 139.847 Fälle wurden gezählt. Allerdings ändern sich die Routen. So nehmen Boote aus Marokko, Senegal, Gambia und Guinea zunehmend Kurs in Richtung Kanarische Inseln. 2023 kamen dort knapp 40.000 Menschen an.
GriechenlandDie Zahlen in Griechenland entwickeln sich gegen den Trend. Dort wird ein Anstieg verzeichnet, um fast 40 Prozent auf rund 37.000 Menschen seit Jahresbeginn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mehr als 30.000 irregulär Einreisende kamen von der türkischen Westküste per Boot auf den griechischen Inseln der östlichen Ägäis an. Zudem stieg auch die Zahl jener, die sich direkt aus Libyen per Boot in Richtung Kreta auf den Weg machten - dort kamen bislang in diesem Jahr rund 3000 Menschen an. Über die Landesgrenze von der Türkei nach Griechenland waren es laut UN-Flüchtlingshilfswerk waren es dieses Jahr bislang rund 5000 Migranten. (kkr)