Landtagswahlen
Fünf Lehren aus den Wahlen in Sachsen und Thüringen
Die Erfolge der AfD und des BSW in Ostdeutschland beeinflussen auch die Bundespolitik. Die Krise der Ampelkoalition wird durch die Ergebnisse von Sachsen und Thüringen verschärft.
Von Tobias Heimbach und Tobias Peter
Sachsen und Thüringen haben gewählt. Die Ergebnisse im Südosten der Republik strahlen bundesweit aus. Dies sind die fünf wichtigsten Lehren aus dem Wahltag:
Lehre Eins: Die Ampel wird weiter an Stabilität verlieren
Die Luft für die Ampelkoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz wird noch einmal dünner – so wie es an Wahlabenden zuletzt immer wieder der Fall war. Zählt man die Stimmen für die drei an der Bundesregierung beteiligten Parteien zusammen, kommen peinlich geringe Ergebnisse heraus. Die Tatsache, dass viele im Willy-Brandt-Haus schon über Ergebnisse oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde aufgeatmet haben, spricht bei einer Kanzlerpartei für sich. Die enttäuschenden Ergebnisse für die Grünen und die vernichtenden für die FDP werden voraussichtlich dafür sorgen, dass die dauerstreitende Koalition im Bund weiter an Stabilität verliert. Das Bundeskabinett hat zwar einen Haushaltsentwurf auf den Weg gebracht. Aber der enthält noch eine übergroße Lücke – und muss am Ende noch vom Bundestag beschlossen werden. Ein Selbstläufer ist das längst nicht mehr. Über die Schuldenbremse ist in dieser Koalition garantiert nicht zum letzten Mal gestritten worden.
Der Kanzler will unbedingt noch seine Rentenreform Gesetz werden lassen. Denn sie beinhaltet ein wesentliches Wahlversprechen von Olaf Scholz aus dem Wahlkampf im Jahr 2021: Das Rentenniveau soll bis 2039 bei 48 Prozent festgeschrieben werden. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat die Reform mit Scholz ausgemacht – jetzt muss er zeigen, ob ihm seine Fraktion dabei angesichts der neuesten Misserfolge bei Landtagswahlen weiter folgt.
Das Regieren in der Ampel dürfte noch schwieriger werden. Und das zu einem Zeitpunkt, bei dem der Druck hin zu weiteren Veränderungen in der Asyl- und Migrationspolitik sehr groß ist.
Lehre Zwei: Die CDU hat gute Ergebnisse – aber doch ein Problem
Für die CDU sind die Wahlen in Sachsen und Thüringen einigermaßen nach Plan verlaufen. Die CDU hat in Sachsen ein Ergebnis auf der Höhe vom letzten Mal erzielt. Michael Kretschmer dürfte Ministerpräsident bleiben. In Thüringen sind die Verhältnisse komplizierter, aber CDU-Kandidat Mario Voigt hat das stärkste Ergebnis unter den Parteien jenseits der AfD.
CDU-Chef Friedrich Merz wird weiter darauf hinarbeiten, dass er selbst Kanzlerkandidat wird. In der CDU stellen sich auch die Merz-Kritiker ohnehin schon lange darauf ein, dass dem Parteichef die Kandidatur schwer zu nehmen ist. Was aber ist mit der CSU? Merz und CSU-Chef Markus Söder haben vereinbart, die Kandidatenfrage im Herbst zu klären. Söders Chancen, Merz die Kandidatur erfolgreich streitig zu machen, sind nicht gestiegen.
Merz hat in den Tagen vor der Wahl die bundespolitische Debatte dominiert. Er war nach dem Messerattentat von Solingen in die Offensive gegangen und hatte den Kanzler aufgefordert, gemeinsam mit der Union zu Änderungen in der Asyl- und Migrationspolitik zu kommen – auch ohne Grüne und FDP. Der CDU-Chef wird sich ermutigt fühlen, den Kanzler hier weiter anzugreifen – auch wenn die Ampel Änderungen auf den Weg gebracht hat, die im Sinn der Union sind.
Vor Schwierigkeiten könnte es die CDU aber auch bundesweit noch stellen, wenn das Bündnis Sahra Wagenknecht nun auf Landesebene zum Koalitionspartner wird. Merz selbst hat das BSW als teils rechtsextrem und teils linksextrem bezeichnet. Noch schwieriger wäre es, wenn die CDU in Thüringen auch noch die Linke für die Mehrheitsbildung bräuchte. Es könnte also sein, dass mit dem Wahlabend eine ganze Reihe Probleme erst begonnen haben.
Lehre Drei: Die AfD ist mit radikalem Kurs auf der Erfolgsspur
In Thüringen und Sachsen konnte die AfD zwei weitere durchschlagende Erfolge feiern. Die Wahl in Thüringen ist dabei sogar eine echte Zäsur, die Partei wurde erstmals bei einer Landtagswahl eindeutig stärkste Kraft. Bemerkenswert ist, dass sie diese Ergebnisse nicht etwa mit einem „gemäßigten“ Kurs errungen hat. Denn der Thüringer Landeschef Björn Höcke repräsentiert den radikalsten Flügel der Partei. Der Verfassungsschutz stuft seinen Landesverband ebenso wie die AfD in Sachsen als „erwiesen rechtsextrem“ ein. Doch von dieser Radikalität scheint die Partei zu profitieren – und dürfte diesen Weg weitergehen.
Ein zentraler Grund für den Erfolg der AfD: In den vergangenen Wochen und insbesondere seit dem Attentat von Solingen diskutierte die Politik viel über Migration, islamistischen Terrorismus und innere Sicherheit – Themen, mit denen die AfD traditionell punkten kann. Auch Nachwahlbefragungen zeigten, dass diese Themen bei den Landtagswahlen wichtig waren. Andere Parteien setzen auch auf eine Verschärfung der Asyl-Politik. Zuletzt stellten Politiker der Union das individuelle Recht auf Asyl in Frage, die Bundesregierung präsentierte ein neues Maßnahmenpaket. Viele Wähler haben dennoch das Kreuz bei der AfD gemacht.
Der AfD gelingt es auch, sich weiterhin als Stimme des Ostens zu präsentieren. Bundesweit ist die Partei in Umfragen von über 20 Prozent wieder unter diese Marke gerutscht – doch im Osten ist sie stark wie nie.
Dennoch dürfte die AfD weiter isoliert bleiben. Deren Spitzen forderten zwar insbesondere die CDU am Sonntag auf, die „Brandmauer“ zur AfD aufzugeben – doch von CDU-Seite wurde bekräftigt, dass man nicht mit der AfD zusammenarbeiten werde.
Lehre Vier: Sahra Wagenknecht verdrängt die Linke
Das hat es so in Deutschland noch nie gegeben. Eine Partei, die erst vor neun Monaten gegründet wurde, hat es auf Anhieb in zwei Landesparlamente geschafft. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zieht in Thüringen und Sachsen mit deutlich zweistelligen Ergebnissen in die Landtage ein. Nun deutet sich auch an, worüber in den vergangenen Wochen nur spekuliert wurde: Das BSW könnte wohl Teil einer Landesregierung werden. Damit ist die Partei um Gründerin und Führungsfigur Sahra Wagenknecht zum Machtfaktor geworden.
Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen waren für das BSW ein Heimspiel. Besonders mit ihrer russlandfreundlichen Haltung konnte die Partei punkten, aber eben auch mit dem einzigartigen Mix aus Positionen: links bei der Sozialpolitik, konservativ bei Migration. Dies alles wird durch die Person Wagenknecht verkörpert, die bei den Landtagswahlen zwar nicht selbst zur Wahl stand, deren Gesicht aber auf allen Plakaten zu sehen war.
Auch das große Ziel der Partei scheint nun ein Stück greifbarer: Bei der Bundestagswahl in einem Jahr will das BSW die Fünf-Prozent-Hürde deutlich überspringen. Mit starken Ergebnissen im Osten und passablen Ergebnissen im Westen könnte das gelingen. Es ist ein Rezept, mit dem eine andere Partei jahrelang Erfolg hatte: die Linkspartei.
Diese wird jedoch zunehmend vom BSW verdrängt. In Thüringen ist Bodo Ramelow nach zehn Jahren im Amt als einziger Ministerpräsident der Linkspartei abgewählt, auch weil das BSW ihm große Teile der Wählerschaft abspenstig machte. In Sachsen rutschte die Linke sogar deutlich unter die Fünf-Prozent-Marke.
Lehre Fünf: Die Ukraine-Politik ist ein riesiger Faktor
Die Außen- und Sicherheitspolitik könnte eines der Themen sein, die mit über den Ausgang der kommenden Bundestagswahl entscheiden. Das gilt insbesondere für den Osten. Allein durch gute Ergebnisse hier können zwar weder Union noch SPD die Wahl gewinnen – aber sie können sie hier verlieren. Wer in Sachsen oder Thüringen im Wahlkampf unterwegs war, weiß, wie viel über diese Themen gesprochen wurde – obwohl die Landesebene in diesem Fall überhaupt nicht zuständig ist. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat hier erfolgreich einen Schwerpunkt seiner Kampagne gelegt.
Für die sozialdemokratischen Wahlkämpfer war es schwierig, dass die Entscheidung über die künftige Stationierung von US-Raketen in Deutschland so unvermittelt kam – hier hat es an kommunikativer Vorbereitung gefehlt. Klar ist auch: Die bisherige Strategie des Kanzlers in der Ukraine-Politik kommt im Osten bei den Wählern nicht an. Olaf Scholz hat Deutschland zu einem der wichtigsten Unterstützer der Ukraine gemacht, die sich unter der Führung ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj seit zweieinhalb Jahren gegen den russischen Angriffskrieg wehrt. Der Kanzler betont zugleich seine Besonnenheit.
Auch die Union hat Fragen zu klären: CDU-Chef Friedrich Merz ist eigentlich Verfechter einer möglichst starken Unterstützung der Ukraine, ließ aber Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer viel Raum, um sich von diesem Kurs abzusetzen. Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl könnte großen Einfluss darauf haben, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht – mit großen Rückwirkungen auch auf die Bundestagswahl in Deutschland.