„D-Day“-Plan
Für die FDP geht es jetzt ums Überleben
Hat die FDP systematisch den Bruch der Ampel betrieben? Ein Papier aus der Parteizentrale bringt auch FDP-Chef Lindner in Bedrängnis, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.
Von Tobias Peter
Jeder kennt die Geschichte. Das Kind steht in der Küche mit der leeren Keksdose. Es hat einen schokoladenverschmierten Mund. Die Mutter kommt rein. Der Junge sagt: „Ich war’s nicht.“ Bei einem Kind ist solches Verhalten sympathisch. Bei wichtigen Vertretern einer bis vor kurzem mitregierenden und über viele Jahrzehnte staatstragenden Partei ist es beschämend.
Als Recherchen von „Zeit“ und „Süddeutscher Zeitung“ nahelegten, die FDP habe systematisch auf den Bruch der Ampelkoalition hingearbeitet, wiesen Parteichef Christian Lindner und andere das empört von sich. Man habe lediglich unterschiedliche Szenarien vorbereitet. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bestritt in einem Fernsehinterview ausdrücklich, in diesem Zusammenhang sei das Wort „D-Day“ benutzt worden. Letzteres war definitiv die Unwahrheit, wie Dokumente aus der FDP-Zentrale mittlerweile belegen.
Geschichtsvergessen und stillos
„D-Day“: Diese Formulierung steht für den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas zum Nationalsozialismus. Dieses Wort im Zusammenhang mit dem Ende der Ampel zu benutzen, ist geschichtsvergessen und stillos. Generalsekretär Djir-Sarai ist mittlerweile zurückgetreten – verbunden allerdings mit der Behauptung, er habe das entsprechende Papier aus dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus nicht gekannt. Wer wird ihm das noch abnehmen?
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Mit diesem Sprichwort sollen Kinder die Folgen von Unwahrheiten lernen. Bei politischen Skandalen wird oft viel Energie auf die Verschleierung des Geschehenen verwendet. Umso schwerer wiegt es, wenn sich nachweisen lässt, dass Angaben nicht stimmen. Es erschüttert auch die Glaubwürdigkeit von allem anderen, was gesagt worden ist.
Es geht aber um mehr als um ein geschmackloses Wort und eine Unwahrheit in einem Fernsehinterview. Der entlassene Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner wird sich jetzt – trotz seiner Erklärung, auch er habe nichts von dem Papier aus der eigenen Parteizentrale gewusst – der Frage stellen müssen, ob er die Ampelkoalition gezielt so aufgerieben hat, dass sie scheitern musste.
Es ist legitim, eine Regierungszusammenarbeit zu beenden, wenn man zum Ergebnis kommt: Sie ist nicht mehr gut für das Land. Dann stellt man sich ehrlich vor die Öffentlichkeit und erklärt genau das: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Zu seriösem Verhalten gehört aber nicht, die Koalitionspartner vorab gezielt zu provozieren und über lange Zeit im Voraus Planungen zu machen, wann und wie sich die gemeinsame Regierung am besten in die Luft jagen lässt. Schauspielerei statt Ernsthaftigkeit? Das ist nicht staatspolitisch verantwortlich.
Die Frage nach den bürgerlichen Tugenden
Christian Lindner ist fraglos eines der größten politischen Talente seiner Generation. Rhetorisch. Ist er womöglich vor allem ein begabter Oppositionspolitiker, vergleichbar mit Sahra Wagenknecht? Niemand weiß, ob er nach der verkorksten Ampelzeit noch mal die Chance erhalten wird, das Gegenteil zu beweisen. Lindner hofft auf Schwarz-Gelb. Doch für den wenig wahrscheinlichen Fall, dass sich diese Konstellation nach der Wahl rechnen sollte, wird auch CDU-Chef Friedrich Merz sich fragen: „Vertraue ich Lindner? Mache ich mein politisches Schicksal von ihm abhängig?“
Für die FDP geht es jetzt aber zuallererst ums Überleben. Dazu muss sie ihre Wähler überzeugen, dass sie noch immer eine bürgerliche Partei ist. Mit bürgerlichen Tugenden. Leicht wird das nicht.