Großaufgebot verfolgt Letzte Generation

Einsatzhundertschaft, Beamte in Zivil, ein Katz-und-Maus-Spiel über Stunden – und das, um eine Blockade von Klimaaktivisten zu verhindern. Die Polizei hat am vergangenen Freitag einen Riesenaufwand betrieben. Das wirft Fragen auf.

Als Olaf Scholz, Volker Wissing und Robert Habeck verkleidete Aktivisten sitzen am vergangenen Freitag auf der B 14 in Stuttgart – allerdings nicht lang.

© Fotoagentur Stuttgart/Andreas Rosar

Als Olaf Scholz, Volker Wissing und Robert Habeck verkleidete Aktivisten sitzen am vergangenen Freitag auf der B 14 in Stuttgart – allerdings nicht lang.

Von Jürgen Bock

Stuttgart - Richtig machen können es die Einsatzkräfte kaum. Schreiten sie nicht konsequent genug gegen Straßenblockaden von Klimaaktivisten ein, ernten sie Kritik von Autofahrern und Teilen der Politik. Gehen sie hart vor, meldet sich die andere Seite mit Vorwürfen zu Wort. Fest steht allerdings: Was am vergangenen Freitag abgelaufen ist, hat es in Stuttgart so zuvor noch nicht gegeben – und hinterher vermelden kurioserweise sowohl Polizei als auch Aktivisten einen in ihren Augen großen Erfolg.

Was ist passiert? Die Letzte Generation hatte bundesweit für diesen Tag Proteste gegen die Bundesregierung und deren Klimapolitik angekündigt. Erfahrungsgemäß passiert das über Straßenblockaden – ob mit Festkleben oder ohne. Und tatsächlich liefen solche Aktionen in 26 Städten ab. Die Aktivisten trugen dabei Anzüge und Masken, die die Gesichter von Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Verkehrsminister Volker Wissing zeigten. Die Folge: Staus und Polizeieinsätze.

In Stuttgart allerdings sollte so etwas von vornherein verhindert werden. Die Stadt hatte zuletzt mit einer umstrittenen Allgemeinverfügung reagiert, nachdem vor kurzem mehrere große Straßen gleichzeitig blockiert worden waren. Mit der Verfügung werden alle nicht angemeldeten und nicht von den Behörden bestätigten Protestaktionen, bei denen sich Menschen festkleben, auf allen Bundes- und 150 weiteren Straßen im Stadtgebiet untersagt, und zwar bis zum Jahresende. Und auch die Polizei war am vergangenen Freitag vorbereitet – mit einem Großaufgebot.

Genaue Zahlen nennt das Präsidium zwar nie, aber Sprecher Timo Brenner bestätigt, dass „Kräfte der Einsatzhundertschaft und Kollegen in Zivil“ unterwegs gewesen seien, um die Hauptstraßen in der Innenstadt zu überwachen. Die Allgemeinverfügung gelte für viele Straßen, da brauche es entsprechende Kräfte. Die Hinweise für den vergangenen Freitag seien sehr konkret gewesen, man habe massive Blockaden erwartet. „Wenn man befürchten muss, dass wieder die ganze Innenstadt lahmgelegt werden soll, dann muss man offensiv agieren“, sagt Brenner.

In der Praxis sah das dann so aus: Zivilbeamte schauten sich die Passanten an bestimmten Stellen ganz genau an – und stießen dabei auf sechs mutmaßliche Aktivisten. Manche sind schon persönlich bekannt, verdächtig war zudem, wer als Gruppe Rucksäcke mit sich führte. So wurde gegen 11.30 Uhr eine mögliche Blockade verhindert – auf recht kuriose Weise.

„Unsere Gruppe wurde, noch bevor wir uns besprochen hatten, an einem unauffälligen Treffpunkt im Park von Zivilbeamten beschattet und verfolgt“, erzählt Mischa Bareuther von der Letzten Generation. Man zog sich ins Bohnenviertel zurück, wo man vor einem Haus beisammensaß, als mehrere Busse der Polizei aufgetaucht seien und sie durchsucht hätten. Dabei wurden Protestmaterial, Politikermasken und Sekundenkleber gefunden, woraufhin alle sechs einen Platzverweis bis zum nächsten Morgen erhielten – und zwar für alle Straßen in der Allgemeinverfügung. Also quasi fast die komplette Innenstadt.

Die Aktivisten halten das für überzogen und zweifeln die Rechtmäßigkeit an – zumal für diejenigen, die in Stuttgart wohnen und sich dort bewegen können müssen. Die Polizei dagegen betont, eine Rückkehr nach Hause oder der Gang zum Supermarkt seien darin natürlich nicht enthalten, man gehe mit Augenmaß vor. Drei der Aktivisten blockierten dann mit Politiker-Verkleidung gegen 15.30 Uhr doch noch für kurze Zeit die B 14 vor der Leonhardskirche, wurden aber schnell von der Polizei weggeführt. Weil sie gegen den Platzverweis verstoßen hatten, blieben sie zur Abwehr weiterer Versuche für sieben Stunden in Polizeigewahrsam. Ob und wegen was sie angezeigt werden, ist noch offen. Im Raum steht Nötigung.

„Was wir gesehen haben vor dem Protest und danach war enorm. Unzählige Busse der Einsatzhundertschaft, Motorräder, Fahrradbeamte, Zivilbeamte, Polizei in U-Bahn-Haltestellen und an Kreuzungen“, sagt Bareuther. Es seien auch völlig Unbeteiligte kontrolliert worden. Er sieht den Tag trotzdem positiv: „Ein voller Erfolg, denn Scholz, Wissing und Habeck – wir waren ja immer noch verkleidet – wurden Handschellen angelegt, und sie wurden symbolisch für ihren Bruch des Klimaschutzgesetzes abgeführt.“

Auch die Polizei wertet den Tag als Erfolg, die Taktik sei voll aufgegangen. „Klar ist aber auch, dass wir nicht immer so einen Aufwand treiben können“, sagt Timo Brenner. Wie es jetzt weitergehe, „liegt an den Aktivisten“. Man behalte jedenfalls bestimmte Tage, Orte und Veranstaltungen sehr genau im Blick.

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Erstellt:
18. Juli 2023, 22:10 Uhr

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