Hausärzte an der Belastungsgrenze

Coronapandemie ist auch für die Praxen vor Ort eine große Herausforderung – Schutzkleidung und Desinfektionsmittel fehlen

Erst waren es nur einzelne, jetzt werden es immer mehr Patienten, die sich bei ihrem Hausarzt melden, weil sie befürchten, sich mit Corona infiziert zu haben. Für die Ärzte ist das eine doppelte Herausforderung: Zum einen steigt ihre Arbeitsbelastung von Tag zu Tag, zum anderen müssen sie aufpassen, dass sie sich nicht selbst anstecken.

Hausärzte an der Belastungsgrenze

Jens Steinat wirft ein Testset in den Briefkasten, den Abstrich führt der Patient dann selbst durch. So kann der Hausarzt aus Oppenweiler Coronatests durchführen, ohne direkten Kontakt mit den Betroffenen zu haben.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Die Arbeitstage von Jens Steinat haben schon jetzt bis zu 14 Stunden, auch seine Mitarbeiterinnen seien an ihrer Belastungsgrenze, berichtet der Hausarzt aus Oppenweiler. Dabei stehen wir – unabhängig von der Wirksamkeit der aktuellen Maßnahmen – erst am Anfang der Pandemie. Neben den Krankenhäusern werden in den kommenden Wochen auch die niedergelassenen Ärzte besonders gefordert sein. Denn sie sind grundsätzlich die ersten Ansprechpartner für die Betroffenen.

Patienten mit Erkältungssymptomen oder Fieber müssen sich zuerst telefonisch bei ihnen melden. „Wer unangemeldet in der Praxis erscheint, wird weggeschickt“, stellt Jens Steinat klar. Denn die größte Sorge der Hausärzte ist zurzeit, dass sie ungeschützt in Kontakt mit einem Corona-Patienten kommen. „Dann müssten wir nämlich die komplette Praxis für zwei Wochen schließen“, sagt Wolfgang Steinhäußer, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Backnang. In der momentanen Situation wäre das verheerend. Glücklicherweise hielten sich mittlerweile aber fast alle an die Vorgaben: „Wir haben sehr vernünftige Patienten“, lobt Steinhäußer.

Getestet wir nur bei einem begründeten Verdacht

Nach einem Vorgespräch mit einer seiner Assistentinnen ruft Steinat jeden Patienten zurück und versucht zu klären, ob eine Coronainfektion zu befürchten ist, weil sich der Betroffene in einem der Risikogebiete aufgehalten hat oder Kontakt zu einem Infizierten hatte. Dort, wo es solche Anhaltspunkte nicht gibt und alles auf einen gewöhnlichen grippalen Infekt hindeutet, stellen die Ärzte eine Krankschreibung aus, ohne den Patienten gesehen zu haben. Das ist seit einigen Wochen erlaubt und entlaste die Praxen enorm, sagt Steinhäußer. Andererseits sei ein solches Vorgehen auch eine Gratwanderung, weil man nie ausschließen könne, dass hinter einem scheinbar banalen Infekt eine schwerere Erkrankung oder eben auch eine Coronainfektion steckt.

„Die Dunkelziffer ist meines Erachtens enorm hoch“, sagt Jens Steinat. Deshalb würde er gerne noch mehr Tests machen, doch die Laborkapazitäten lassen das nicht zu. Getestet wird deshalb weiterhin nur bei einem begründeten Verdacht. In diesen Fällen können die Hausärzte den Patienten in das Abstrichzentrum nach Schorndorf schicken, viele führen aber auch selbst Coronatests durch. Wolfgang Steinhäußer hat dafür einen Raum in seiner Praxis, den man direkt vom Eingang aus erreichen kann, zum Infektionszimmer erklärt. Diesen Raum betritt außer den Patienten nur der Arzt in entsprechender Schutzkleidung. Er habe aber auch schon Abstriche durchs Autofenster abgenommen, berichtet der Allgemeinmediziner.

Jens Steinat geht zunehmend dazu über, seine Patienten selbst testen zu lassen. Dafür wirft er ein Testset in den Briefkasten. Die Betroffenen machen dann selbst einen Abstrich von der Mundschleimhaut, und ein Angehöriger bringt diesen in einem verschlossenen Röhrchen zurück in die Praxis. Das funktioniere in der Regel ohne Probleme und er spare sich die Schutzkleidung, sagt Steinat. Denn die ist bei ihm wie in fast allen Praxen Mangelware. Auch Desinfektionsmittel wird langsam knapp. Sein Lieferant habe ihm noch eine Flasche Sterilium für den ganzen Monat geliefert – das reicht nicht mal eine Woche. Zum Glück habe er noch einen kleinen Vorrat und ein Patient habe ihm Desinfektionsmittel gespendet. Doch auch diese Reserve wird irgendwann aufgebraucht sein. Dass so etwas in Deutschland passieren könne, habe er nicht für möglich gehalten, sagt Steinat.

„Die eigentliche Krankheitswelle kommt erst noch“

Auf die kommenden Wochen blicken die Hausärzte mit Sorge: „Die eigentliche Krankheitswelle kommt ja erst noch“, weiß Wolfgang Steinhäußer. Er rechnet damit, dass die Hochphase in zwei bis drei Wochen beginnt. Bis dahin werde auch die Zahl der kritischen Fälle deutlich steigen. Gleichzeitig müssen sich die Hausärzte aber natürlich auch weiterhin um Patienten mit anderen Diagnosen kümmern.

Um seine eigene Gesundheit mache er sich keine Sorgen, sagt Jens Steinat, „aber ich mache mir Sorgen um meine Eltern und um meine chronisch kranken Patienten“. Deshalb sei es wichtig, dass jetzt alles dafür getan wird, dass die Ausbreitung des Virus verlangsamt wird. Der Hausarzt aus Oppenweiler unterstützt deshalb den Aufruf, der von Ärzten und Pflegepersonal im ganzen Land unter anderem in den sozialen Netzwerken verbreitet wird: „Wir bleiben für Euch da, bleibt Ihr für uns zu Hause.“ Das deutsche Gesundheitssystem sei so gut aufgestellt, dass man diese Krise meistern könne“, ist Jens Steinat überzeugt, doch es werde nur funktionieren, wenn die Bevölkerung mithilft. „Ich möchte nicht in die Situation kommen, in der ich entscheiden muss, wen ich noch behandeln kann und wen nicht.“