USA und Iran in Kontakt?
Iran und Westen vor neuen Atomgesprächen
Beide Seiten zeigen sich wieder an Verhandlungen interessiert. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA will bald nach Teheran reisen.
Von Thomas Seibert
Der Iran und der Westen wollen nach dem Regierungswechsel in Teheran neue Atomgespräche aufnehmen. Irans neuer Präsident Massud Peseschkian signalisiert mit Ankündigungen und Personalentscheidungen sein Interesse an einem neuen Anlauf. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, will bald Teheran besuchen, um die neuen Verhandlungen einzuleiten. Die Aussicht auf neue Gespräche senkt nach Einschätzung von Experten das Risiko eines Großkonflikts zwischen dem Iran und Israel.
Vor neun Jahren hatten der Iran und die internationale Gemeinschaft das Abkommen JCPOA geschlossen, das mit strengen Vorschriften für Teheran den Bau einer iranischen Atombombe unmöglich machen sollte. Im Gegenzug sagte der Westen einen Abbau seiner Sanktionen gegen Teheran zu.
Die USA traten 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump aus dem JCPOA aus und belegten den Iran mit neuen Sanktionen. Trumps Nachfolger Joe Biden bemühte sich um eine neue Vereinbarung, scheiterte vor zwei Jahren aber am Widerstand der iranischen Regierung. Der im Juli gewählte Peseschkian will nun wieder mit dem Westen reden, weil er Geld für die angeschlagene Wirtschaft seines Landes braucht.
Donald Trump stieg 2018 aus
Peseschkian hat ein „JCPOA-Triumvirat“ in seiner Regierung mit dem Neuanfang der Atomgespräche beauftragt, wie der Iran-Experte Arash Azizi von der Universität Boston sagt: Außenminister Abbas Araghci, dessen Stellvertreter Madschid Tacht-Rawantschi und Präsidentenberater Dschawad Zarif. Die drei Diplomaten führten 2015 für den Iran die Verhandlungen über den JCPOA, kennen die Materie und wollen einen Ausgleich mit dem Westen. Peseschkian sagte in einem Fernsehinterview, der Iran brauche 100 Milliarden Dollar an Direktinvestitionen aus dem Ausland.
Auch die USA und Europa streben eine neue Atomeinigung mit dem Iran an, der seit Trumps Ausstieg aus dem Atomvertrag die Kontrollen durch die IAEA nicht mehr hinnimmt und die Urananreicherung vorantreibt. Nach US-Schätzungen wäre der Iran heute in der Lage, innerhalb von ein bis zwei Wochen genug Material für eine Atombombe zu produzieren.
IAEA-Chef Grossi will erreichen, dass Überwachungskameras in iranischen Atomanlagen wieder angeschaltet werden und IAEA-Inspekteure ihre Arbeit im Iran wieder aufnehmen dürfen. Grossi sagte dem saudischen Sender Al Arabiya, Präsident Peseschkian habe sein Interesse an neuen Gesprächen bekundet. Der IAEA-Chef fügte hinzu, er sei bereit, nach Teheran zu fliegen und mit Peseschkian zu reden.
Ein Besuch von Grossi im Iran und neue Atomgespräche könnten dazu beitragen, die Spannungen im Nahen Osten abzubauen. Teheran droht Israel mit Vergeltung für das Attentat auf Hamas-Chef Ismail Hanijeh in Teheran am 30. Juli. Den USA gehe es derzeit vor allem darum, einen Krieg zwischen dem Iran und Israel zu verhindern, sagte Azizi unserer Zeitung. „Daran sind beide Seiten interessiert und haben auch gute Erfolgschancen, weil der Iran in der Auseinandersetzung mit Israel ohnehin nur sehr begrenzte militärische Optionen hat.“ Eine große militärische Auseinandersetzung würde Peseschkians Hoffnung auf bessere Beziehungen zum Westen und auf ausländische Direktinvestitionen zunichtemachen.
Beide Seiten werden wohl „behutsam“ vorgehen
Sollten die USA und Iran den Neuanfang bei den Atomgesprächen wagen, werden sie nach Einschätzung von Azizi behutsam vorgehen. „Die USA wollen vor der Wahl im November kein öffentliches Getöse durch eine Vereinbarung mit dem Iran riskieren“, sagte Azizi unserer Zeitung. Mit einer schnellen Einigung im Atomstreit würde sich Vizepräsidentin Kamala Harris im Wahlkampf gegen Trump dem Vorwurf aussetzen, dem Teheraner Regime durch einen Abbau der Sanktionen den Zugriff auf Milliardensummen zu verschaffen.
Vorsicht liegt auch in Peseschkians Interesse. Zwar hat der iranische Regimechef Ali Khamenei neue Atomgespräche erlaubt. Doch Peseschkians Regierung will bei Khamenei und anderen anti-westlichen Konservativen in Teheran nicht den Eindruck erwecken, den USA zu weit entgegenzukommen.