Nach dem Attentatsversuch in München

Israels Generalkonsulin: „Der Hass gegen Juden ist explodiert“

Am Donnerstag war das israelische Generalkonsulat Ziel eines vermutlich islamistisch motivierten Anschlagsversuchs. Der Täter wurde erschossen. Israels Generalkonsulin Talya Lador-Fresher ruft im Interview zum verstärkten Kampf gegen Antisemitismus auf.

Talya Lador-Fresher leitet seit September 2023 das israelische Generalkonsulat in München. Es ist das einzige seiner Art in der Europäischen Union.

© /Eric Waha

Talya Lador-Fresher leitet seit September 2023 das israelische Generalkonsulat in München. Es ist das einzige seiner Art in der Europäischen Union.

Von Rainer Pörtner

Am Donnerstag wurde wenige Meter entfernt vom israelischen Generalkonsulat in München ein bewaffneter junger Mann von der Polizei erschossen. Die Hintergründe sind zwar nicht endgültig geklärt, aber die Ermittler gehen davon aus, dass ein islamistisch motivierter Terroranschlag geplant war. Ein Gespräch mit der israelischen Generalkonsulin Talya Lador-Fresher über die Tat, den Antisemitismus und die Friedensaussichten in Nahost.

Frau Lador-Fresher, wie haben Sie die dramatischen Momente am Donnerstag erlebt?

Ich war zu dem Zeitpunkt noch zu Hause. Auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren nicht im Generalkonsulat. Wir bereiteten uns gerade auf die Gedenkfeiern zum Jahrestag des Olympia-Attentats vor, die unter anderem in Fürstenfeldbruck stattfinden sollten. 1972 sind elf israelische Geiseln und ein deutscher Polizist ermordet worden. Wir hatten also Glück, dass wir nicht vor Ort in der Münchner Innenstadt waren, als der Anschlagsversuch stattfand.

Wie haben Sie davon erfahren?

Ich bekam einen Anruf, dass es eine Schießerei in der Nähe des Generalkonsulats gibt. Am Anfang habe ich gar nicht realisiert, was das bedeutet. Erst, als ich Videobilder von dem um sich schießenden Mann gesehen habe, verstand ich. Und ich kann nur noch einmal sagen: Wir haben viel Glück gehabt.

Wie tief sitzt der Schreck über das Geschehene?

Natürlich sind wir sehr erschrocken. Aber ich empfinde gleichzeitig große Dankbarkeit: für die deutsche Polizei, die Schlimmeres verhindert hat, und für die Solidarität, die wir in den Stunden danach erleben durften. Und schließlich gibt es bei uns allen hier eine große Entschlossenheit: Wir müssen und wir werden weitermachen.

Wie weit waren Sie auf eine solche Bedrohung vorbereitet?

Natürlich bereiten wir uns abstrakt auf solche Fälle vor. Aber es ist immer etwas ganz anderes, wenn es dann wirklich passiert. Ende Mai gab es schon einmal eine bedrohliche Situation. Damals warf ein Mann eine Flasche mit einer Patrone drin in den Innenhof des Generalkonsulats. Am Anfang haben wir gedacht, das wäre ein Molotowcocktail. Alle diplomatischen Vertretungen Israels überall auf der Welt sind gefährdet. Das gilt insbesondere seit dem 7. Oktober vorigen Jahres, seit dem fürchterlichen Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel.

Wie sehr verstärkt der Vorfall das Unsicherheitsgefühl unter den Juden in Deutschland?

Seit dem 7. Oktober fühlen sich sehr viele Jüdinnen und Juden in Deutschland sehr unsicher. Jeder neue terroristische Vorfall verstärkt dieses Gefühl der Unsicherheit, genauso wie die vielen israelfeindlichen Demonstrationen. Am Anfang gibt es Worte. Danach Taten.

Wie schwer ist es im Moment, als Diplomatin das Land Israel in Deutschland zu vertreten?

Das Ereignis in München unterstreicht, wie der Hass gegen Jüdinnen und Juden explodiert ist und wie gefährlich das ist. Der Kampf gegen Antisemitismus muss sehr entschieden geführt werden. Das ist eine Aufgabe für die deutsche Politik, die das – so will ich insgesamt sagen – gut macht. Aber es ist auch eine Aufgabe für die große Mitte der Gesellschaft, die sich wehren muss gegen jede Form von Hass und Ausgrenzung. Es gibt dazu wunderbare Projekte wie etwa die Aktion „SCORA – Schools opposing racism and antisemitism“. Sie bringen unter anderem deutsche und israelische Schüler zusammen. Der direkte Kontakt von Menschen – das ist immer noch das allerbeste Mittel gegen Vorurteile.

Als Sie im Juni in der Universität Frankfurt auftreten wollten, gab es Proteste propalästinensischer Aktivisten. Diese führten Plakate mit, auf denen Sie als „Genozidleugnerin“ und „Kriegskriminelle“ bezeichnet wurden. Das bezog sich natürlich auf den Krieg im Gazastreifen. Was empfinden Sie bei solchen Vorwürfen?

Natürlich trifft mich das. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Kritik an der Regierung ist in Israel völlig normal. Wir versuchen diese Freiheit zu verteidigen gegen terroristische Angriffe aus sehr vielen Richtungen: gegen die Hamas im Süden, die Hisbollah im Norden, den Terror im Westjordanland, die Miliz im Irak, die Huthis im Jemen, die Miliz in Syrien und all das ist aus dem Iran unterstützt und gesteuert. Das Schlimme in Frankfurt war: aus Sicherheitsgründen wurde das Gespräch mit Studentinnen und Studenten, das ich führen wollte, abgesagt. Ich bin froh, dass das Präsidium die Veranstaltung noch im selben Semester nachgeholt hat. Die Protestierer wollen mit Druck und Gewalt verhindern, dass die Stimme Israels öffentlich gehört werden kann. Da ist Frankfurt kein Einzelfall.

Wo schlägt für Sie Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen und im Westjordanland in Antisemitismus um?

Die Grenze zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus wird durch drei „D“s beschrieben. Delegitimierung – wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird. Doppelte Standards – wenn zum Beispiel Israel anders als andere Länder verurteilt wird. Und schließlich Dämonisierung – wenn schaurigste Lügen über das jüdische Volk verbreitet werden.

Sehen Sie als erfahrene Diplomatin einen Weg, aus der scheinbar endlosen Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Nahost herauszukommen?

Ich wünschte so sehr, dass ich diesen Weg kenne. Wir Israelis wollen in Freiheit und Frieden leben, nicht umgeben sein von Hass und Gewalt. Kann es schon bald eine Zweistaatenlösung geben? Ich bin leider skeptisch. Man muss sich nur das schreckliche Schweigen der palästinensischen Seite und der arabischen Welt nach dem Hamas-Massaker des 7. Oktober anschauen, um zu erkennen, wie weit entfernt wir davon sind. Wo waren die Verurteilungen dieses schrecklichen Terrors? Wo waren die arabischen Stimmen, die laut sagen, dass hier gegen alle menschlichen Werte verstoßen wurde? Es wird vermutlich Dekaden dauern, bis wir einen Zustand dauerhaften Friedens in Nahost erreichen. Gleichzeitig dürfen wir die Hoffnung nie verlieren.

Vertreterin Israels

GeneralkonsulatTalya Lador-Fresher leitet seit September 2023 das israelische Generalkonsulat in München. Es ist das einzige seiner Art in der Europäischen Union und liegt am Karolinenplatz – mitten im einstigen Machtzentrum der Nationalsozialisten.

DiplomatinLador-Fresher wurde 1962 in Petach Tikwa, östlich von Tel Aviv, geboren. Sie trat nach dem Militärdienst und einem Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem in den diplomatischen Dienst ein. Sie leitete unter anderem die Protokollabteilung des Außenministeriums und war Botschafterin in Wien. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Erstellt:
6. September 2024, 14:52 Uhr

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