“Hart aber fair“ in der ARD
„Jetzt werden Sie sexistisch!“ – Schlagabtausch bei Nahost-Debatte
Einen heftigen Schlagabtausch lieferten sich sechs Studiogäste – Pro-Palästinenser und Pro-Israelis - bei „Hart aber fair“. Israels Verhältnismäßigkeit der Mittel steht im Zweifel.
Von Christoph Link
Dieses Lagerdenken ist auch aus unseren TV-Studios nicht herauszukriegen. Mehr als eine Stunde lang beharkten sich sechs Studiogäste bei „Hart aber fair“ am Montagabend in der ARD. In der Verteilung: eine neutrale Persönlichkeit in Gestalt der Grünen-Politikerin Lamya Kaddor, zwei Israel-Freunde und drei Palästinenser-Sympathisanten. Natürlich ging es zunächst einmal um den Militärschlag gegen ein Schulgebäude in Gaza-Stadt und die Frage, ob dies nun verhältnismäßig gewesen sei oder nicht. Waren es nun 80 Tote, darunter Kinder und Frauen, wie die Hamas sagt, oder 31 Tote und wichtige Hamas-Vertreter, wie Israel behauptet? Den Aufschlag machte die CDU-Politikerin Julia Klöckner, Mitglied in der deutsch-israelischen Gesellschaft, die auch über die „Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung“ reden wollte, denn in den Medien werde eben oft nicht erwähnt, dass Tag für Tag israelische Gebiete aus dem Libanon bombardiert werden. Israel sei umzingelt von einem „Feuerring“ von antidemokratischen Staaten, die es auslöschen wollten, und es habe das Recht, sich zu verteidigen. Und es sei nun mal so, dass die Hamas ihre Kommandozentralen in Schulen und Krankenhäusern versteckten, die Bevölkerung als Schutzschilde nehme.
Studiogast Kindlichkeit vorgeworfen
„Die Angriffe auf Schulen müssen aufhören“, entgegnete da die deutsch-iranische Aktivistin und Künstlerin Enissa Amani, sie könne den Äußerungen Klöckners „in keinem Wort zustimmen“. Sie halte die Hamas sowie die Regierung des strippenziehenden Iran auch für eine Mörderbande, aber die zivilen Opferzahlen der Hamas – auch wenn sie nicht hundertprozentig stimmten – seien glaubhaft. Äußerungen von Israels Finanzminister Bezalel Smotrich, man solle die zwei Millionen Menschen im Gaza-Streifen eigentlich aushungern, seien rechtsextrem und faschistisch und eben kein Beleg dafür, dass Israel eine Demokratie sei und die „moralischste Armee der Welt“ habe. Die Gegenrede hielt da Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“, der zuvor allerdings auch betonte, dass Smotrichs Äußerungen „mit jüdischen Werten nichts zu tun haben“.
Dieser Krieg sei gerechtfertigt, aber er sei „nicht immer gerecht“, sagte Engel. Die Hamas sei immerhin so ehrlich, offen zu sagen, dass sie Israel auslöschen wolle. Ansonsten sei ihr nicht zu glauben: „Ich traue den Opferzahlen der israelischen Armee mehr.“ Die halte sich auch ans Völkerrecht. Man dürfe der Hamas und ihrer Propaganda jetzt bei der Attacke auf die Schule ebenso wenig auf den Leim gehen wie bei der Bombardierung eines Krankenhauses im Oktober 2023. Etwas emotional wurde die Sendung dann, als Engel der ihr ins Wort fallenden Enissa Amani vorwarf, sie rede „wie meine Kinder und die sind jünger als Sie“. Da empörte sich Amani: „Jetzt werden Sie sexistisch. Sie vergleichen eine erwachsene Frau mit Kindern.“ Das müsse sie sich nicht bieten lassen.
Gefangene erniedrigt
Eine Mittlerrolle, aber tendenziell seine große Enttäuschung über Israel äußernd, hatte der Deutsch-Israeli Jules El-Khatib inne, ein Soziologe, der sowohl Familie in Israel, dem Gaza-Streifen als auch im Westjordanland hat. Im jüngsten Krieg seien schon 15 seiner Verwandten getötet worden, „das ist ein reales Leid für unsere Familie“. In den letzten zehn Jahren habe Israels Armee „in eigener Sache“ wegen Verbrechen in seinen Rängen ermittelt, es seien aber nur drei Personen verantwortlich gemacht worden. Für El-Khatib führt sich diese Ignoranz jetzt fort: Da würden Häuser in die Luft gesprengt durch Israels Armee und Soldaten demütigten palästinensische Gefangene, in dem sie ihren Fuß auf deren Kopf stellten: „Das ist doch keine Verteidigung mehr.“
Rache als Triebfeder?
Ähnlich kritisch äußerte sich Daniel Gerlach, Chefredakteur von „Zenith“, der „Zeitschrift für den Orient“. Gleich ob nun 30.000 oder 40.000 Tote im Gaza – Gerlach hält die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Gaza-Krieg nicht mehr für gewahrt. Es sei auch nie der Plan der israelischen Regierung gewesen, mit Verhältnismäßigkeit in diesen Konflikt zu gehen, ihr Ziel sei es, dass sich der Gaza-Streifen „nie mehr gegen Israel“ erhebe, sie sei geleitet von alttestamentarischen Werten wie Rache und Vergeltung. Relativ hilflos zwischen den Fronten verharrte da die Grüne Kaddor: Es sei schon bezeichnend, dass man in dieser Debatte im Studio auch „in die alten Reflexe“ verfalle. Palästinenser und Israeli hätten sehr ähnliche Leiderfahrungen, aber eine Lösung könne nicht im Kampf liegen. Die Sicherheit Israels gehöre zur deutschen Staatsräson, aber wenn jetzt die israelische Armee in der Westbank palästinensische Zivilisten drangsaliere, dann müsse man das auch artikulieren.
Antisemitisches Grundrauschen
Auch auf die deutsche Gesellschaft schlägt der Konflikt massiv zurück. Vor dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober habe es immer ein „antisemitisches Grundrauschen“ gegeben, so Philipp Peyman Engel, aber danach habe es eine unglaubliche Vielzahl von antisemitischen Demonstrationen von der linken Szene bis zum rechtsextremen Spektrum gegeben. Julia Klöckner wies daraufhin, dass ein Jude sich heute nicht mehr frei mit Kippa durch ein Stadtviertel wie Berlin-Neukölln bewegen könne. Differenzieren zwischen Israel und der Regierung Netanjahu – das schien eine unterschwellige Botschaft der Sendung zu sein. Natürlich stehe Deutschland nach dem größten Zivilisationsbruch in der Geschichte „in der absoluten Schuld“, den Juden eine Sicherheit zu geben, meinte Enissa Amani. Und sie selbst sei permanent mit jüdischen Menschen in Kontakt. Tatsache sei aber auch, dass es faschistische Elemente in der Regierung Netanjahu gebe. Für ein komplettes Lieferembargo von Waffen gegen Israel sprach sich Jules El-Khatib aus: 60 Prozent der Israeli wollten einen Waffenstillstand, doch Netanjahu blockiere den. Die Chancen eines Waffenstillstands - eigentlich eine Leitfrage der Sendung – wurde gar nicht ausgelotet. „Das war keine ganz einfache Sendung“, stellte Moderator Louis Klamroth am Ende fest.