Josef allein in der Schule

Gemeinden organisieren Notbetreuungen für Eltern mit systemrelevanten Jobs, etwa an der Anna-Haag-Schule in Althütte

Seit Dienstag sind die Schulen geschlossen, die Kinder müssen zu Hause bleiben. Doch nicht alle Eltern können von der Arbeit daheim bleiben oder eine alternative Betreuung organisieren. Für Eltern, die in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten, bieten die Gemeinden nun eine Notbetreuung an.

Zumindest heute hat Josef die Anna-Haag-Grundschule in Althütte ganz für sich allein. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Zumindest heute hat Josef die Anna-Haag-Grundschule in Althütte ganz für sich allein. Foto: A. Becher

Von Kristin Doberer

ALTHÜTTE. Mit dem Kettcar-ähnlichen Gefährt saust Josef durch die Gänge seiner Schule, schließlich hat er jetzt Platz. Wo für gewöhnlich etwa 80 Grundschüler toben, herrscht jetzt gähnende Leere. Denn: Der Erstklässler ist am Dienstag der einzige Schüler in der Anna-Haag-Grundschule Althütte. Nach der Schließung der Kitas und Schulen haben die Gemeinden für einige Eltern eine Notfallbetreuung organisiert (siehe Infokasten). So auch in Althütte, hier sind gerade acht Kinder in der Notfallbetreuung, aufgeteilt auf mehrere Standorte. „Wir haben uns für eine dezentrale Betreuung entschieden“, erklärt Bürgermeister Reinhold Sczuka. Mit kleinen Gruppen von zwei bis drei Schülern wolle man das Risiko einer Coronaansteckung möglichst gering halten.

In der Anna-Haag-Grundschule übernimmt das Team der Kernzeit- und Nachmittagsbetreuung diese Aufgabe. Eigentlich kümmern sie sich um die Betreuung von 42 Kindern vor und nach dem Unterricht, sie essen mit den Kindern und basteln, bis die Eltern ihre Kinder bis spätestens 17 Uhr abholen. Nun will das Team aber nicht nur auf Spiel und Spaß setzen, sondern vor allem sicherstellen, dass die Schüler ihre Arbeitsblätter bearbeiten. „Zunächst hatten wir die Befürchtung, dass sehr viele Kinder angemeldet werden“, sagt Tina Schülke, Leiterin der Kernzeitenbetreuung. Doch neben Josef ist nur ein weiteres Kind angemeldet, das in den nächsten Tagen dazustoßen wird. Denn viele Eltern hätten sich freinehmen können oder würden im Homeoffice arbeiten. „Das geht jetzt schon mal für fünf Wochen, aber danach wird es für viele Eltern schwierig.“

„Ich habe niemand, der auf die Kinder aufpassen könnte“

Josefs Mutter ist bereits jetzt auf die Notbetreuung angewiesen. Sie macht eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten, fällt also in den Personenkreis, der die Notbetreuung in Anspruch nehmen kann. Da sie sich erst am Beginn ihrer Ausbildung befindet, kann sie sich nur wenige Fehltage erlauben, ansonsten kann sie ihren Abschluss nicht machen. „Ich war zunächst schockiert, dass die Schulen geschlossen werden“, sagt Feven Tabot. Sie ist alleinerziehend und hat noch eine Tochter, die in den Kindergarten geht. „Ich bin vor drei Jahren nach Deutschland gekommen, hier habe ich keine Verwandten, die auf die Kinder aufpassen können.“ Da die Notbetreuung in Althütte nur bis 13 Uhr geht, musste sie für die Betreuung am Nachmittag schnell eine andere Lösung finden. Ab nächster Woche hat sie jemanden gefunden, der nachmittags auf die Kinder aufpasst. Für die restliche Woche musste sie sich einige Nachmittage freinehmen. „Zum Glück habe ich super Kollegen und eine verständnisvolle Chefin. Es ist einfach eine schwierige Situation.“

Den normalen Schulalltag vermisst Josef zumindest jetzt noch nicht. „Manchmal ist der Unterricht ja auch langweilig“, sagt er. Und obwohl Josef sich vorerst auch alleine gut mit Lego, Basteln und vielen weiteren Angeboten in der Schule beschäftigen kann, das Alleinsein gefällt ihm nicht. „Ich fände es super, wenn auch meine Freunde hier wären.“ Die Betreuerinnen und Feven Tabot sind sich sicher: Die Kinder verstehen auch im Grundschulalter den Ernst der Lage. „Mittlerweile waschen die Kinder ihre Hände selbstständig und auch gründlich“, sagt Betreuerin Bettina Sczuka. Und auch Tabot bemerkt: „Sie wissen, dass sie Abstand zueinander und zu anderen Menschen halten müssen.“

Auch für Schulleiter Edmund König ist die Situation außergewöhnlich, aber er versucht, positiv zu bleiben: „Ich kann jetzt zumindest viel nacharbeiten, das in den letzten Wochen wegen Corona liegen geblieben ist.“ Statt ums Alltagsgeschäft musste sich der Schulleiter zuletzt hauptsächlich um organisatorische Dinge kümmern: Elternbriefe schreiben und Arbeitsblätter für die nächsten Wochen vorbereiten. Und auch die beiden Kernzeitbetreuerinnen nutzen die Zeit. „Wir können jetzt Sachen erledigen, zu denen wir lange nicht gekommen sind. Zum Beispiel neue Materialien vorbereiten und alte aussortieren“, sagt Schülke. Auch ist sie der Meinung, es sei schön, wenn Eltern jetzt etwas Zeit mit ihren Kindern verbringen können. „Vielleicht finden wir jetzt wieder etwas zu unseren Wurzeln und merken, wie luxusverwöhnt wir eigentlich waren.“

Auch Bettina Sczuka will positiv bleiben: „Jetzt können wir uns mehr auf den einzelnen Schüler konzentrieren. Dafür ist im Alltag nur wenig Zeit.“

Info

Die Notbetreuung kann in Anspruch genommen werden, wenn Alleinerziehende oder beide Elternteile in einem systemrelevanten Beruf arbeiten.

Dazu gehören: Polizei, Feuerwehr, medizinisches und pflegerisches Personal, Hersteller von wichtigen Medizinprodukten, Lebensmittelproduzenten und Lebensmittelhändler. Auch Arbeiter im Bereich der Telekommunikation, der Energie- und Wasserversorgung, des ÖPNV und der Müllabfuhr können ihre Kinder in der Notbetreuung anmelden.

Organisiert wird die Notbetreuung von den einzelnen Gemeinden, die Gruppengrößen und Betreuungszeiten können sich je nach Gemeinde unterscheiden.

Die Notbetreuung ist für Kinder im Kita- und Grundschulalter gedacht.

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Erstellt:
18. März 2020, 11:30 Uhr

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