Drohende Gefechte in Libyen

Kampf um Öl, Geld und Macht

Rivalisierende Regierungen in Libyen rüsten für neue Gefechte in dem Land. Friedensappelle von UNO und EU verhallen ungehört.

Unter der libyschen Wüste lagern mehr als 40 Milliarden Barrel  Öl, das sind die  reichsten Vorkommen in Afrika.

© dpa/DB Wintershall

Unter der libyschen Wüste lagern mehr als 40 Milliarden Barrel Öl, das sind die reichsten Vorkommen in Afrika.

Von Thomas Seibert

In Libyen ist ein neuer Kampf um Öl, Geld und Macht entbrannt. Der Zentralbankchef ist ins Ausland geflohen, die Ölproduktion ist eingebrochen, die rivalisierenden Regierungen im Osten und Westen des Landes mobilisieren ihre Truppen. Bei dem Streit geht es um die Verteilung der Milliardenerlöse aus den Ölexporten, mit denen sich beide Seiten bereichern und ihre Kriegskassen füllen wollen. Nach vier Jahren relativer Ruhe drohen neue Gefechte. Friedensappelle von UNO und EU verhallen ungehört.

Die neuen Spannungen verschlimmerten die ohnehin krisenanfällige Lage in Libyen, erklärten UNO und EU. In dem nordafrikanischen Land gibt es seit dem Sturz von Diktator Muammar Gaddafi vor 13 Jahren keine Zentralmacht mehr. Die von der Türkei unterstützte und international anerkannte Führung im westlibyschen Tripolis unter Ministerpräsident Abdulhamid al-Dbeibah rivalisiert mit einer russisch unterstützten Gegenregierung und deren Militärchef Khalifa Haftar im Osten des Landes. UN-Pläne für eine landesweite Neuwahl im Dezember 2021 scheiterten. In diesem Frühjahr trat der UN-Beauftragte für das Land, Abdoulaye Bathily, frustriert von seinem Posten zurück.

Machthaber treiben eigene Interessen voran

Die Machthaber in West- und Ostlibyen – Dbeibah und sein Neffe Ibrahim im Westen und Haftar mit seinen Söhnen Belgasem und Saddam im Osten – schmettern alle Versuche ab, das Land zu einen, und treiben ihre eigenen Interessen voran. Saddam Haftar ließ nach Medienberichten vor wenigen Wochen eine Ölförderanlage schließen, die von einem spanischen Unternehmen betrieben wird. Er reagierte damit auf einen Haftbefehl der spanischen Justiz, die ihn wegen Waffenschmuggel zur Rechenschaft ziehen will.

Trotz ihrer Rivalität kooperierten beide Seiten bisher bei der Ausbeutung der Ölquellen, die vor allem im Osten Libyens liegen. Unter der libyschen Wüste lagern mehr als 40 Milliarden Barrel (je 159 Liter) Öl, das sind die reichsten Vorkommen in Afrika. Vor Ausbruch der jüngsten Krise produzierte Libyen mehr als eine Million Barrel Rohöl pro Tag.

Das Geld aus dem Ölexport floss an die Zentralbank im westlibyschen Tripoli, die es an Dbeibahs Regierung weiterleitete. Dbeibah bezahlte damit die Beamtengehälter in ganz Libyen, auch in Haftars Machtbereich im Osten. Haftar profitiert zudem vom Treibstoffschmuggel in andere Länder. Sowohl Dbeibah als auch Haftar, der mit seinen Truppen die meisten Ölquellen des Landes kontrolliert, verdienten an diesem System. Beide Seiten halten sich seit vier Jahren an eine Waffenruhe. Jetzt treiben das Öl und die von der Zentralbank verwalteten Erlöse aus dem Verkauf eine neue Eskalation zwischen den beiden Landesteilen an. Zentralbankchef Sadik al-Kabir hat sich mit Regierungschef Dbeibah überworfen und ist ins Ausland geflohen, wie er der „Financial Times“ sagte. Kabir habe sich in jüngster Zeit an das Haftar-Lager in Ostlibyen angenähert, Zahlungen an Dbeibahs westlibysche Regierung eingestellt und dies mit Korruptionsvorwürfen begründet, sagt die Nordafrika-Expertin Nebahat Tanriverdi.

Ölproduktion stark gedrosselt

Dbeibah erklärte Kabir für abgesetzt; der geflohene Banker berichtet, er und seine Mitarbeiter seien von Milizen in Tripolis bedroht und eingeschüchtert worden. Die ostlibysche Regierung will Kabirs Entlassung nicht hinnehmen und hat aus Protest die Ölproduktion stark gedrosselt. Die neuen Machtkämpfe um Libyens Öleinnahmen seien ein Alarmsignal, sagte Tanriverdi unserer Zeitung. Die jüngste Krise zeige, wie gefährdet die ohnehin brüchige Waffenruhe sei.

Zuletzt hatte Haftar im Sommer 2020 versucht, Tripolis zu erobern, war damals aber von westlibyschen Milizen mit türkischer Hilfe zurückgeschlagen worden. Jetzt könnten neue Gefechte bevorstehen.

Haftars ostlibysche Truppen rückten nach eigenen Angaben in den vergangenen Wochen auf die Stadt Ghadames an der Grenze zu Algerien im Westen Libyens vor, offiziell um Schmuggler zu bekämpfen. In Wirklichkeit wolle Haftar mit der Einnahme von Ghadames seine Position im libyschen Machtkampf militärisch, politisch und wirtschaftlich stärken, meint Tanriverdi. Als Antwort auf Haftars Vorstoß versetzten westlibysche Milizen in Dbeibahs Machtbereich ihre Kämpfer in Alarmbereitschaft.

Die Vereinten Nationen befürchten, dass die Streitigkeiten um Zentralbankchef Kabir und um Ghadames in Gewalt umschlagen. Die UN-Mission in Libyen warnte, die Lage im Land habe sich in den vergangenen zwei Monaten rapide verschlechtert.

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Erstellt:
2. September 2024, 13:56 Uhr

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