Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst
Kommunen wollen Arbeitskampf verhindern
Der Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst eskaliert. Begleitet von einem folgenschweren Streik im Verkehrsbereich ringen die Gewerkschaften mit Bund und Kommunen in Potsdam um eine Lösung. Es könnte noch nicht das Ende sein.

© dpa/Boris Roessler
Die Stimmung unter den Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist stark getrübt – daher gehen sie zu Tausenden auf die Straße.
Von Matthias Schiermeyer
Wohl noch nie zuvor haben die entscheidenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen unter einem solchen Druck gestanden: Während die Kontrahenten an diesem Montag in Potsdam zur dritten Runde zusammenkommen, legen die Gewerkschaften mit einer einzigartigen Streikattacke den bundesweiten Verkehr lahm. Wer also von den Unterhändlern mit der Bahn zum Verhandlungsort reisen wollte, musste dies schon am Sonntag tun.
„Ich finde das unangemessen, dass die Bevölkerung schon dreifach bis fünffach mit Streiks überzogen wurde“, erregt sich Karin Welge, die Präsidentin der kommunalen Arbeitgebervereinigung (VKA), über die Streiks. „Aus meiner Sicht sind das keine Warnstreiks mehr.“ Es gebe keine gescheiterten Verhandlungen – man befinde sich mitten im vereinbarten Fahrplan. „Welches Bild geben die Gewerkschaften in ihrer Dramaturgie vom öffentlichen Dienst ab in einer Zeit, in der wir von einem überproportionalen Fachkräftemangel sprechen?“
Man sei doch viel eher in der Pflicht, in so einer so kritischen Zeit die staatlichen Strukturen und die Daseinsvorsorge zu stärken, so die Verhandlungsführerin. „Stattdessen erwecken die Gewerkschaften den Eindruck, dass hier unzumutbare Arbeitsverhältnisse vorlägen und Menschen unter existenzgefährdenden Rahmenbedingungen arbeiten müssten“, sagt Welge, auch mit Verweis auf das Nachbarland. „Es ist auch nicht leichter geworden mit dem Blick nach Frankreich – was dort passiert, animiert und stimuliert natürlich.“
„Verhandlungsfähiges Angebot schon in der zweiten Runde“
So viel Wut wie unter den Franzosen – allerdings über die Rentenreform – gibt es bei den Streikenden hierzulande bisher nicht. Dass diesen die hohen Preise zusetzen, bestreiten aber auch die kommunalen Arbeitgeber in Baden-Württemberg (KAV) nicht. „Ich weiß aus Gesprächen am Rande, dass es in den unteren Tarifgruppen durch die Inflation durchaus schon eng wird“, sagt der KAV-Vorsitzende Wolf-Rüdiger Michel, der auch Landrat des Landkreises Rottweil ist. „Wir wollen auch, dass die Kaufkraft unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt nicht ständig sinkt.“
Er beruft sich aber darauf, dass die Arbeitgeber erstmals seit langem schon in der zweiten Verhandlungsrunde ein verhandlungsfähiges Angebot gemacht hätten: mit einem Lohnzuwachs von fünf Prozent plus einem Inflationsausgleichsgeld von 2500 Euro über eine Laufzeit von 27 Monaten. Einem Müllwerker zum Beispiel würde es immerhin ein Plus von zwölf Prozent bringen, betont Michel, der die Interessen von rund 850 kommunalen Arbeitgebern mit gut 350 000 Beschäftigten im Land vertritt.
Nun hat Verdi-Chef Frank Werneke mit Blick auf die unteren Entgeltgruppen deutlich gemacht, dass es ohne einen „ausreichend hohen Mindestbetrag“ keine Einigung geben werde. Die Kommunen lehnen die Forderung nach 500 Euro mehr pro Monat bisher strikt ab, weil dies der Vergütungsstruktur des öffentlichen Dienstes nachhaltig schaden würde, wie Welge meint. Denn in den unteren Entgeltgruppen würde dieser Betrag einem Einkommenszuwachs von fast 25 Prozent gleichkommen – dies ginge auch zu Lasten der Fachkräftesuche in den oberen Entgeltgruppen, die in den Augen der Arbeitgeber keineswegs vernachlässigt werden sollen.
Bisher hatte Welge kein Mandat der VKA-Mitgliederversammlung, einer Mindesterhöhung zuzustimmen. Dennoch sendet sie ein Signal der Verständigungsbereitschaft: „In einem Kompromiss muss man aufeinander zugehen“, mahnt sie – auch an das eigene Lager gerichtet. Daher müssten jetzt „alle Beteiligten über die eine oder andere Position nachdenken“, wenngleich sich auch die andere Seite endlich bewegen müsse.
Auch im Südwesten klamme Kommunen
Michel, der auch Stellvertreter der Präsidentin ist, verweist auf die Risiken eines hohen Abschlusses. „Natürlich geht es uns im Schnitt erheblich besser als den Kommunen in anderen Bundesländern, aber auch wir haben wirklich klamme Kommunen“, sagt der Landrat. Seine Erklärung: „Wir hatten bisher in Baden-Württemberg – egal wer regiert hat im Land – eine durchaus kommunalfreundliche Politik, das ist einfach ein Startvorteil.“ Dass man sich hinter den finanziell arg gebeutelten Städten etwa in NRW oder im Saarland verstecken wolle, um günstigere Konditionen zu bekommen, bestreitet er – vielmehr sei der Flächentarifvertrag ein Akt der Solidarität. Die Konditionen seien im Grundsatz bundesweit die gleichen.
Dennoch könnte sich ein hoher Tarifabschluss überall als Boomerang erweisen. Er müsse im Volumen so ausgestaltet sein, „dass es nicht zwangsläufig in den Kommunen zu einer Welle höherer Steuern, Abgaben und Gebühren kommt“, mahnt Michel. Denn dies würde nicht nur die Unternehmen belasten. „Ich denke, dass Letzte, was die Bürger im Moment brauchen, ist eine Erhöhung der Abgaben, die dann ja auch wieder unsere Tarifbeschäftigten trifft.“
Wie unter diesen Bedingungen eine Einigung gelingen soll, ist offen. Noch geben sich die Arbeitgebervertreter betont zuversichtlich, dass dies bis Mittwoch oder Donnerstag möglich sein könnte. Verdi deutet bereits an, einer möglichen Schlichtung keine große Bedeutung beizumessen – dies würde wohl einen unbefristeten Ausstand bedeuten.
Schlichtung nur eine Notlösung für die Arbeitgeber
Eine Vermittlung war zuletzt 2008 nötig – sie müsste von einer der beiden Seiten angestoßen werden. „Eine Schlichtung ist unbefristeten Streiks immer vorzuziehen“, sagt Michel. „Wir wollen einen Abschluss ohne Streik.“ Bund und Kommunen seien sich ihrer Verantwortung bewusst – er könne sich nicht vorstellen, „dass die Bevölkerung für flächige Streiks Verständnis hat, wenn wir die dritte Runde vergeuden“. Insofern hätten die Arbeitgeber auch im Südwesten einen „hohen Einigungswillen“. Sicherheitshalber hält sich der Landrat schon mal die ganze Woche frei.