Der neue Überdruss an der Pille

Ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in Pillengegner und -befürworter ist so unnötig wie dumm.

Von Bettina Hartmann

Stuttgart -

Einst wurde sie als Symbol der weiblichen Selbstbestimmung gefeiert, heute ist die Pille fast schon out. Während vor gut zehn Jahren noch jede zweite junge Frau mit ihr verhütet hat, ist es inzwischen laut aktuellen Zahlen der AOK mit 28 Prozent der bis 22-Jährigen nicht einmal mehr jede dritte. Das ist zunächst nicht negativ. Ein bewusster Umgang mit dem Thema Verhütung – nicht zuletzt von Männern – ist begrüßenswert, der Wunsch nach Alternativen legitim. Es spricht auch nichts gegen gesunde Skepsis. Die Vehemenz, mit der etwa in sozialen Netzwerken gegen die Pille und somit gegen ein angeblich hormonell manipuliertes Leben gewettert wird, befremdet jedoch. Sie beeinflusst – und verunsichert massiv, gerade Mädchen und junge Frauen.

Laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung glaubt mittlerweile denn auch fast die Hälfte der Befragten, dass Verhütung mit Hormonen „negative Auswirkungen auf Körper und Seele“ hat. 55 Prozent bezweifeln, dass man die Pille über Jahre unbedenklich schlucken kann. So wundert nicht, dass es etwa auf Instagram zig Hashtags zum Thema „Pille absetzen“ gibt, auf denen teils völlig unreflektiert und reißerisch vor erheblichen Risiken und Nebenwirkungen gewarnt wird. Vorteile bleiben unerwähnt, genauso wie Risiken und Nebenwirkungen einer ungewollten Schwangerschaft oder gar eines Abbruchs.

Stattdessen wird eine Art Natürlichkeitskult zelebriert. In Internetforen schwärmen Frauen davon, dass ihre bisherige schlechte Laune ohne Pille wie weggewischt sei, dass die Pfunde von selbst purzelten, dass ihre Lust auf Sex plötzlich wieder steige. Zudem sei es fantastisch, auf den eigenen Körper zu hören und den natürlichen Zyklus samt Eisprung zu spüren. Nüchtern betrachtet hat der Zyklus aber nur eine einzige Funktion: dass Frauen schwanger werden.

Möchte man das verhindern, muss man verhüten. Hier gilt nach wie vor: Die Pille ist eine der zuverlässigsten Methoden – und somit bis heute eine wichtige und sinnvolle Errungenschaft. Nicht zuletzt, da sie Frauen weltweit, sofern sie überhaupt Zugang haben, Geburtenkontrolle und so ein selbstbestimmteres Leben ermöglicht. Diese Freiheit sollte Frau sich gut 60 Jahre nach der Markteinführung der Pille nicht aus der Hand nehmen lassen.

Es stimmt zwar, dass Antibabypillen wie jedes Arzneimittel Nebenwirkungen haben können, in äußerst seltenen Fällen sogar schwere. Darüber sollen und müssen Ärzte, Apotheker und Beipackzettel aufklären. Fakt ist aber auch: Hormonbomben sind die Präparate längst nicht mehr. Inzwischen sind mehrere Generationen erhältlich, in verschiedenen hormonellen Zusammensetzungen, mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen.

Die beste Methode gibt es ohnehin nicht, Verhütung ist individuell. Jede Frau möchte, braucht und verträgt etwas anderes. Das gilt es durch Gespräche mit dem Frauenarzt oder bei Beratungsstellen zu klären und auszuprobieren. Zum Glück gibt es ja Optionen. Wobei auch klar sein sollte, dass Männer gleichberechtigt ihre Verantwortung diesbezüglich wahrzunehmen haben. Es kann nicht allein die Aufgabe der Frau bleiben, sich zu überlegen, wie man verhütet.

Ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in Pillengegner und -befürworter, wie einst in den 60er Jahren, ist allerdings so unnötig wie dumm. Egal, auf welche Methode die Wahl fällt, ob mit oder ohne Hormone, es sollte stets die freie Entscheidung im Mittelpunkt stehen. Ohne Druck, ohne Sendungsbewusstsein oder gar Verteufelung. „Auf den eigenen Körper hören“ heißt nämlich auch, dass Frau die Pille nimmt, wenn sie es möchte. Ohne sich rechtfertigen zu müssen – erst recht nicht vor anderen Frauen.

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Erstellt:
22. August 2023, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
23. August 2023, 22:02 Uhr

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