Leitartikel: Klimapolitik – eine Frage fürs Volk?
Ein Referendum über die Klimapolitik ist eine faszinierende Idee, weil sie neue Perspektiven erlaubt.
Von Eidos Import
Die Letzte Generation klebt sich im apokalyptischen Wahn auf Deutschlands Straßen. Die AfD findet nicht einmal, dass der Klimawandel ein Problem darstellt. Und irgendwo dazwischen spaltet das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Land. Diskussionen über den Klimawandel sind schwierig, weil es um sehr abstrakte Fragen geht. Der angesehene Jugend- und Sozialforscher Klaus Hurrelmann schlägt vor, die Debatte auf eine andere Ebene zu hieven – und eine Volksabstimmung durchzuführen.
Bevor es in einem zweiten Schritt um konkrete Maßnahmen gehen soll, möchte Hurrelmann zunächst einmal klären, ob eine Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, dass der Klimawandel „in einer gemeinsamen Anstrengung der deutschen Gesellschaft bekämpft werden“ sollte. Eine Idee, so unrealistisch wie faszinierend. Sie eröffnet einen Perspektivwechsel heraus aus der Parteipolitik.
Würde sich eine große Mehrheit von 70 Prozent oder mehr in einer Volksabstimmung dafür aussprechen, den Klimawandel als gemeinsame gesellschaftliche Herausforderung zu begreifen, würde die erfolgreiche Erzählung der AfD, dass eine Minderheit (die Grünen) der Mehrheit gegen deren Willen strenge Klimaschutzmaßnahmen aufzwingt, komplett in sich zusammenfallen. Die Zustimmung des Volks wäre gleichwohl nicht gleichbedeutend mit einem Blankoscheck für Fundi-Grünen-Ideologie, für die nicht nur Habecks Ex-Staatssekretär Patrick Graichen steht, der aus einem Elfenbeinturm heraus die Regierungspolitik bestimmen wollte. Es wäre genug Platz da für gemäßigte Positionen, abwägend zwischen klimapolitischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Nur die Leugner, dass es überhaupt ein Problem gibt, wären demokratisch auf die billigen Plätze verwiesen – wo sie ob der blanken Wissenschaftsfeindlichkeit ihrer Haltung auch hingehören.
Dieser Verweis passiert aktuell im Diskurs auf Parteiebene zwar – aber eben nur in sehr geringen Dosen. Eine Stimme für die Grünen, klar, da wird der Bekämpfung des Klimawandels hohe Priorität eingeräumt. Das ist genauso eindeutig wie eine Stimme für die AfD, die das genaue Gegenteil bedeutet. Doch wer SPD, Union, Linke oder FDP wählt – bei der Bundestagswahl 2021 immerhin zwei Drittel der Wähler –, macht keineswegs deutlich, dass er bereit ist, Einschränkungen in Kauf zu nehmen, nur weil das in den Parteiprogrammen steht. Genauso wenig, wie man aus Meinungsumfragen zu weitreichende Schlüsse ziehen sollte. Eine Antwort auf die abstrakte Frage eines Demoskopen ist nicht vergleichbar mit einem Kreuz bei einer Volksabstimmung nach vorangegangener intensiver Debatte.
Doch natürlich hat auch ein solches Referendum seine Schattenseiten – weshalb es unter dem Strich auch keine gute Idee wäre. Was, wenn die Volksabstimmung denkbar knapp ausgehen würde? Die Fronten wären noch verhärteter, als sie es heute schon sind. Und was erst, der Brexit lässt grüßen, wenn eine Mehrheit des Volkes fürs Nichtstun stimmen würde, weil das bequemer ist? Es wäre eine Bankrotterklärung gegenüber der jungen Generation.
So faszinierend die Idee einer Volksabstimmung ist, eine Lösung ist sie nicht. Aber sie erlaubt uns, das Problem neu zu denken, und die Mitte der Gesellschaft, die sich weder von der beschworenen Apokalypse noch von der Leugnung des Problems angesprochen fühlt, kann davon lernen: Der Klimawandel ist zu komplex, um Lösungen entlang von Parteilinien und deren spezifischen Interessen zu entwickeln. Dafür sollte sich eine breite Mehrheit finden lassen. Die dann, hoffentlich, auch viele Menschen mitnimmt.