Leitartikel: Merz läuft die Zeit davon
Der Vorsitzende stärkt mit neuem Partei-General die Wirtschaftskompetenz seiner dümpelnden CDU.

©
Von Wolfgang Molitor
Berlin - Was läuft da schief? Eigentlich müsste die CDU angesichts der erbarmungswürdigen Ampelei der rot-grün-gelben Bundesregierung vor Optimismus platzen, wenn sie in die nahe liegende Zukunft blickt. Am 8. Oktober wählen die Hessen und Bayern einen neuen Landtag, und niemand wird behaupten, dass Grüne und Sozialdemokraten dort mit einer guten Portion Scholz- und Habeck-Rückwind in den Wahlkampf starten werden. Allerdings ohne jeden schwarzen Mitnahmeeffekt.
Und so ist die Stimmung im Adenauer-Haus gedämpft. Im Bund liegt man in den Umfragen um die 28 Prozent. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Das Ziel, nach dem 24-Prozent-Debakel 2021 wieder satt über jene 30-Prozent-Marke zu springen, die den Anspruch auf die nächste Kanzlerschaft glaubwürdig untermauern müsste, ist weit weg. Statt sich einer seriösen Opposition zuzuwenden, taumeln immer mehr Wähler zu einer rechtslastigen Partei, die keine Regierungsverantwortung tragen kann und wird.
Merz muss reagieren. Der CDU-Partei- und -Fraktionsvorsitzende macht deshalb das, was Entschlossenheit und Führungskraft signalisieren soll: Er tauscht Personal. Fürs Erste trifft es Mario Czaja, den erst seit eineinhalb Jahren zum Generalsekretär gewählten Vordenker und Umlenker. Und auch, wenn jetzt im linksbegrünten Medienspektrum Krokodilstränen vergossen werden, weil da einer vom Acker geschickt werde, der die CDU für eine neue Klientel im ökoliberalen Großstadtmilieu öffnen wollte: Dass Merz ausgerechnet Carsten Linnemann als neuen Chefstrategen in die Parteizentrale ruft, ist eine klug routinierte Entscheidung.
Denn die nächste Bundestagswahl (so wie kommende Landtagswahlen außerhalb einiger zunehmend AfD-verseuchter Ostländer) dürfte von der Frage beherrscht werden, wie die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands aussehen soll. Klima-, Flüchtlings-, Verkehrs- und Rentenpolitik, Krankenhausreform, Ehegattensplitting, Kindergrundbetrag, Verteidigungsetat und so vieles andere mehr, all das wird nur dann in hoffnungsvolle politische Projekte fließen können, wenn sie erwirtschaftet und bezahlbar sind. Oder wieder bezahlbar werden. Ohne Staat wie Bürger zu überlasten.
Es geht um den Standort Deutschland. Um alles. Linnemann ist ein geschätzter und eloquenter Wirtschaftsexperte. Das hat der 45-Jährige mehr als ein Mal gezeigt. Dass er mit seinem eher konservativen Profil besser als Czaja zu Merz passen dürfte, mag zwar die inhaltliche Ausrichtung der Union etwas verschieben, ist aber für alle kein Nachteil. Auch nicht für jene, die sich von Merz zweifelsohne mehr positive Außenwirkung erhofft haben.
Es wird Zeit, dass Merz mehr liefert als geschliffene Bundestagsreden und verbale Zuspitzungen. Die CDU muss mit ihrem Anspruch, vor allem die Partei der Wirtschaftskompetenz und inneren Sicherheit zu sein, nicht zuletzt gegenüber der AfD überzeugen. Im Klartext: Wer eine Partei wählt, die mit konservativer Prägung regierungsverantwortlich handeln soll, muss die AfD nicht nur aus Sicht der CDU rechts liegen lassen, soll seine Stimme nicht in belanglosen Parlamentspöbeleien versickern.
Noch hat Merz dafür kein Konzept gefunden. Seine klare Abgrenzung zum rechten Rand, die sich auch im Umgang mit dem sein Ausschlussverfahren siegreich bestandenen Hans-Georg Maaßen beweisen muss, ist in Teilen der CDU ebenso umstritten wie sein überzogen realitätsfremder Ausfall, die Grünen zum Hauptgegner zu erklären.
Linnemann wird es nicht leicht haben, der CDU und ihrem Gesamtchef in diesem Umfeld nach innen wie nach außen neuen Schwung, neue Attraktivität zu verleihen. Aber einen Versuch ist es wert. Die Zeit läuft.