Leitartikel: Sportlicher Scherbenhaufen
Auch bei der Frauen-WM in Australien zeigt sich, dass es dem deutschen Fußball an vielem mangelt.
Von Carlos Ubina
Stuttgart - Martina Voss-Tecklenburg hat einen Moment gebraucht, um sich zu sammeln. Die Bundestrainerin saß nach dem Abpfiff allein auf der Bank – mit ihrer Enttäuschung und ihren Gedanken. Doch die 55-Jährige will ihren Mann stehen, wie es so schön heißt. Sie stellt sich nach der Blamage von Brisbane schützend vor ihr Team. Denn die Frauenauswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist bei der WM in Australien bereits nach der Vorrunde ausgeschieden. Von den Männern kennt man das schon von den Weltturnieren 2018 und 2022, doch nun sind die DFB-Frauen erstmals nicht in die K.-o.-Spiele eingezogen.
Eine historische Pleite ist das bei der neunten Teilnahme. Und sie hat zunächst einmal viel mit der Gruppenpartie gegen Südkorea zu tun (1:1). Das DFB-Team wirkte fahrig und nervös. Doch spannt man den Bogen etwas auf, zeigt sich, dass der zweifache Weltmeister an Gegnern (Kolumbien und Marokko) gescheitert ist, die als deutlich schwächer eingestuft werden. Was daran liegt, dass es zur Tradition gehört, deutsche Teams zu den Favoriten zu zählen.
Mit der Realität hat das jedoch nicht mehr viel zu tun. Bei der Weltmeisterschaft vor vier Jahren kamen die Frauen mit der kurz zuvor verpflichteten Voss-Tecklenburg nicht über das Viertelfinale hinaus – auch das wurde als verfrühte Rückreise empfunden. Von der EM 2022 kehrten sie zwar gefeiert als Vize zurück, aber aus heutiger Sicht stellte die Europameisterschaft ein Zwischenhoch dar, das den Damen in kurzen Hosen vor allem Popularität eingebracht hat.
Als frisch und unverbraucht gelten die DFB-Frauen und werden entsprechend vor einem Millionenpublikum im Fernsehen präsentiert. Das tut einerseits gut. Andererseits interessiert ein sympathisches Auftreten nicht mehr, wenn sich kein Erfolg einstellt. Voss-Tecklenburg ahnt nun, dass es Kritik hageln wird. Es ehrt sie dabei, dass sie sich selbstkritisch gibt und bei den Spielerinnen sachlich bleibt. In der Emotion wollte die Bundestrainerin auch nicht öffentlich über einen möglichen Rücktritt reden, sie möchte erst einmal analysieren.
Grundsätzlich wird Voss-Tecklenburg feststellen, dass ihre Schützlinge zwar technisch und taktisch gut ausgebildet sind, sie aber nicht stressresistent auftreten, wenn es größere Widerstände gibt. Es mangelt an Individualität, Kreativität und Durchsetzungsvermögen. Und wie bei den (leidenschaftslosen) Männern wird es zum Problem, wenn eine Elf zwar meint, verschiedene Systeme spielen zu können, sie in entscheidenden Phasen aber trotzdem planlos wirkt.
Offensichtlich steckt der deutsche Fußball im Krisenmodus. Andere Nationen haben nicht nur aufgeholt, sondern überstrahlen die einstige Fußballgröße – mit neuen Ausbildungsinhalten und kompetenten Trainern. Das zahlt sich langfristig aus, und dem DFB gelingt es nicht, brauchbare Zukunftslösungen zu finden. Wie auch?
Joti Chatzialexiou trägt beim DFB den schönen Titel Sportlicher Leiter Nationalmannschaften. Er ist der Mann für das Konzeptionelle beim Verband. Er war jetzt auch in Down Under, um nah bei den DFB-Frauen zu sein. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sich unter Chatzialexiou die Nationalteams von der Weltspitze entfernen, anstatt einen sportlichen Gipfel zu erklimmen.
Die DFB-Frauen waren angetreten, um sich den dritten Weltmeisterstern zu erstürmen. Der kriselnde Verband erhoffte sich von den Auftritten sogar einen glanzvollen Sommer nach insgesamt drei Turnier-Enttäuschungen der A-Nationalmannschaft sowie dem Gruppen-Aus der U 21 vor wenigen Wochen bei der EM. Jetzt steht der DFB aber vor einem Scherbenhaufen – und ohne Idee da.