Leitartikel: Stuttgart braucht mehr Mut
Leitartikel: Stuttgart braucht mehr Mut

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Schaufenster zur IBA-Ausstellung in der Königstraße 1. An an diesem Samstag besteht noch die Möglichkeit sie zu besuchen.
Von Jan Sellner
Stuttgart - Es war nur eine Art Seufzer, doch der war tief und aussagestark: „Stuttgart 21 zu machen und durchzusetzen hat offenbar den Mut der Stadt Stuttgart für 50 Jahre aufgebraucht“, schnaufte der Ministerpräsident in dieser Woche beim Besuch der Ausstellung zur Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA) in der Königstraße. Zuvor war ihm bedeutet worden, dass die Landeshauptstadt drauf und dran ist, eine große Chance zu verspielen. Auf einem städtischen Gelände im Bereich des Nordbahnhofs ließe sich unter der Regie der IBA ein zukunftsweisenden Wohnprojekt realisieren, wenn man nur wollte – oder vielmehr, wenn man den Mut dazu hätte. „Noch wäre es möglich“, meint IBA-Intendant Andreas Hofer. Die Zeit tickt, doch Stuttgart tickt offenbar anders.
Wie mutig ist die Stadtverwaltung? Wie beweglich? Was traut sie sich? Was tut sie für die IBA? Diese Fragen stellen sich nicht erst seit Kretschmanns Stoßseufzer. Es geht darum, mit welchem Schwung Dinge entwickelt und in Angriff genommen werden. Und mit welcher Haltung. Beschäftigt man sich vorwiegend mit dem, was nicht geht oder damit, was möglich gemacht werden kann? So wie es erfreulicherweise in der Region bei etlichen IBA-Projekten der Fall ist.
In Stuttgart geht erst mal vieles nicht oder nicht jetzt, sondern irgendwann vielleicht einmal. Dafür gibt es dann auch immer tausend gute oder schlechte Gründe. Bis es so weit ist, muss wieder neu geplant und geprüft werden. Oder die Dinge versanden. Man denke nur an die B 14. Das Problem, das diese Stadt hat, ist in doppeltem Sinne ein Einstellungsproblem. Sie kultiviert die Bedenken. Ihr fehlt der Mut zur Lücke, nicht zur Baulücke, sondern dazu, ein Vorhaben auch mal ohne einen bis ins letzte Detail ausformulierten Bebauungsplan zu starten.
Dem einzelnen Mitarbeiter ist das nicht zum Vorwurf zu machen. Stuttgart hat die Vorschriften und die Formulare in der Regel auch nicht erfunden. Es ist allerdings die Frage, wie umfassend man das Regelwerk lebt, ob man sich dahinter versteckt und wartet, bis überall größtmögliche Rechtssicherheit herrscht und hinter dem letzten Spiegelstrich ein Haken dran ist, oder ob man auch mal vorangeht – in Gestalt der Rathausspitze. Doch statt Zutrauen herrscht dort oft Zaudern. Hinzu kommen anhaltende personelle Probleme. Die Situation im Bereich Bauen und Planen ist in Stuttgart „unterdotiert“ stellt der Schweizer IBA-Intendant Andreas Hofer treffend fest.
Das Bild wäre unvollständig ohne den Hinweis, dass es auch positive Beispiele gibt. Aus jüngerer Zeit sind die Umgestaltung des Schützenplatzes und die Neukonzeption für den Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz zu nennen. Auch die Villa Berg entwickelt sich in eine gute Richtung. Bei diesen Projekten haben sich städtische Akteure flexibel und aufgeschlossen für Ideen von Bürgern gezeigt. Das wäre auch im Fall der alten Bahnbrücke über den Neckar zu wünschen. Leute, die Ideen beisteuern, stören nicht, sie bereichern die Stadt. Das muss die Grundhaltung werden. Endlich auch mit Blick auf die IBA 2027. Die Stadt sollte die Gelegenheit nutzen, sich auf die Mutprobe einlassen und daran glauben, dass sie sie besteht.