Leitartikel: Wegducken ist keine Lösung
Die Konkurrenz zur AfD darf nicht allein der CDU überlassen werden.
Von Annika Grah
Stuttgart. - Es ist wohl fast schon symptomatisch im Umgang der Parteien mit der AfD, was sich da in den vergangenen Wochen abspielte. Nach den umstrittenen Äußerungen von CDU-Parteichef Friedrich Merz war lange Zeit nichts zu hören von anderen Parteien – und es wäre wohl auch so geblieben, wäre Grünen-Chefin Ricarda Lang nicht nach dem Abstimmungsverhalten der Backnanger Gemeinderäte gefragt worden.
Ähnlich stumm blieb man auf Landesebene. Wer nicht muss, das wurde klar, befasst sich lieber nicht mit der AfD. Das zeigt, dass es sich die Parteien – auch in Baden-Württemberg – im Umgang mit der Partei einfach gemacht haben. Eine Zusammenarbeit ablehnen, möglichst ausdauernd ignorieren, so lautete bislang die Devise. Und möglichst viel Abstand wahren – vor allem im Landtag, wo zumindest das Erregungspotenzial über die AfD nach dem Ausscheiden von Stefan Räpple, Wolfgang Gedeon und Heinrich Fichtner etwas abgenommen hat.
Doch das Ignorieren, Abtun und Übergehen ist ein riskanter Kurs, der auch nach hinten losgehen kann. Denn häufig legt die AfD den Finger in die Wunde. Wie das abläuft, ließ sich wunderbar in einer Landtagsdebatte vor der parlamentarischen Sommerpause um die Sicherheit in Freibädern beobachten, die die AfD im Landtag angemeldet hatte. Das Ziel war klar, der AfD-Innenexperte Daniel Lindenschmid nutzte seine Rede, um in erwartbarer populistischer Polemik von „marodierenden Migrantenmobs“ zu sprechen und zu Grenzkontrollen zu raten, bevor Kontrollen an den Freibadtoren eingeführt werden. Erstaunlich indessen war die Sprachlosigkeit mancher Politiker. Der CDU-Innenpolitiker Tim Brücker sprach unter großem Applaus von „maßloser Übertreibung“. Innenminister Thomas Strobl (CDU) war nicht in der Lage, sechs Wochen nach Saisonbeginn eine „valide Bewertung der aktuellen Lage“ zu liefern. Und ließ die Frage, warum die Zahl der Straftaten in Freibädern 2022 zwar im Vergleich zu vor der Pandemie zurückging, die der Rohheitsdelikte – wozu etwa Körperverletzung gehört – aber anstieg, unbeantwortet. Soll das beruhigen?
Die eigentliche Frage blieb offen: Wie steht es denn nun um die Sicherheit in Freibädern – ganz unabhängig von der Herkunft der Täter und unabhängig davon, ob es sich bei den Vorfällen um Einzelfälle handelt?
Doch mit dieser Strategie überlässt man die Hoheit über die Debatte bei Themen, die die Menschen beschäftigen, der AfD. Eine Gratwanderung gewiss, aber das kann den Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, im Gegensatz zur AfD dem demokratischen Spektrum anzugehören, nicht egal sein. Wer die AfD im Diskurs stellen will, muss Lösungen anbieten genau für die Themen, die die Rechten zu besetzen versuchen.
Was passiert, wenn das nicht gelingt, ließ sich im diese Woche veröffentlichten BaWü-Check der baden-württembergischen Tageszeitungen ablesen. Darin wurde der AfD in Baden-Württemberg eine höhere Lösungskompetenz bei Zukunftsfragen zugeschrieben als FDP und SPD. Einer Partei also, die sich nicht nur für eine Lockerung des Waffenrechts ausspricht, sondern auch eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen – die Grundsteuer – streichen will. Grüne und CDU, die sicher auch von ihrem Regierungsbonus im Land profitieren, lagen zwar davor, aber nicht weit. In einer bundesweiten Yougov-Umfrage war der Widerstand gegen eine Regierungsbildung mit der AfD unter FDP-Wählern am geringsten.
Das zeigt: Die Konkurrenz zur AfD ist nicht nur Sache der Parteien im politischen Spektrum rechts der Mitte. Alle, auch Grüne und SPD, müssen eine klare Sprache und eine kluge Strategie finden – und dürfen das Feld nicht kampflos überlassen.