Leitartikel: Zukunftsfieber in Stuttgart
Bei der Urban Future ging es um die Zukunft der Stadt. Was kann Stuttgart daraus lernen?

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Von Judith A. Sägesser
Stuttgart - Der Hinweis, der am Tag vor Konferenzstart über die Urban-Future-App einging, hätte passender nicht sein können: „This is a reminder that the temperatures are high in Stuttgart this week, therefore we would advise everyone to dress lightly.“ In Stuttgart ist es heiß, bitte entsprechend kleiden. Hitze und Stuttgart, das gehört zusammen. Die Landeshauptstadt gilt bereits heute als eine der heißesten Städte Deutschlands. Und das wird aufgrund des Klimawandels auch so bleiben.
Wie Städte auf die Klimakrise reagieren können, darum ging es in Stuttgart bei der Urban Future, einer internationalen Konferenz. Städte sind der Ursprung der Probleme, folglich sind dort auch die Lösungen zu finden. Oder anders ausgedrückt: Die Zukunft wird in Städten gemacht.
Prognosen zeigen: 2050 werden weltweit 68 Prozent der Menschen in Städten leben, in Deutschland sogar 84 Prozent. Gleichzeitig machen Städte heute nur zwei Prozent der globalen Landfläche aus, doch dort sind 70 Prozent der Wirtschaft beheimatet, 60 Prozent der Energie wird dort verbraucht. Städte sind für 70 Prozent der CO2-Emissionen und 70 Prozent des Mülls verantwortlich.
Für Stuttgart birgt es eine große Chance, dieses Jahr die Urban Future ausgerichtet zu haben. Es trafen sich rund 2000 Besucher aus 72 Ländern mit einem gemeinsamen Ziel: eine erfolgreiche Transformation von Städten. Wer die dreitägige Konferenz besucht hat, konnte sich der Aufbruchstimmung kaum entziehen. Das Wesentliche dürften nicht die mehr als 60 inhaltlichen Sessions gewesen sein, sondern das Drumherum. In den Stuhlreihen der Konferenzräume, auf den Fluren im Haus der Wirtschaft, aber auch an der 72 Meter langen Tafel an der Tübinger Straße kamen Menschen zusammen, die sich sonst nie begegnet wären. Es hat sich, wie von Geisterhand, ein unsichtbares Netz geknüpft. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper sprach von einem „Urban-Future-Fieber“, und das trifft es ziemlich gut.
Allerdings, Fieber will man in der Regel so schnell wie möglich wieder loswerden. Das sollte im Falle des positiven Zukunftsfiebers aber besser nicht geschehen. Denn die eigentliche Aufgabe steht Stuttgart erst bevor. Wer es nicht schon vorher wusste, weiß es nach dieser Urban Future: Der Einfluss von Verwaltungen ist begrenzt. Die meisten Emissionen gehen auf das Konto von Industrie und Privathaushalten. Sie müssen mitziehen, ja mitziehen wollen.
Das betrifft zum einen eine nicht unerhebliche Summe an privatem Kapital, das der Stuttgarter Klimafahrplan für die Zielerreichung eingepreist hat: Eigentümer müssen beispielsweise Gebäude sanieren und Solaranlagen sowie klimafreundliche Heizungen installieren. Das betrifft aber auch die grundsätzliche Bereitschaft zur Dekarbonisierung. Veränderungswille ist erkennbar: Am Donnerstag hat der Bürgerrat Klima , ein Gremium aus 61 repräsentativ ausgewählten Stuttgarterinnen und Stuttgartern, dem Gemeinderat seine Empfehlungen überreicht. Ein wichtiger Wunsch: dem umweltfreundlichen Verkehr mehr Platz geben. Autogerecht war gestern.
An dieser Stelle ist der Einfluss der Stadt groß. Sie kann und muss helfen, den knappen öffentlichen Raum neu zu verteilen. Es braucht ihn für Radfahrer, Fußgänger, aber auch für Grünflächen und Bäume, um Hitze und Extremwetter in Zukunft abzumildern.
Stuttgart bleiben zwölf Jahre, bis 2035, um sein selbst gesetztes Klimaziel zu erfüllen. Die Urban Future kann einen wichtigen Schub bringen – wenn es gelingt, die spürbare Aufbruchstimmung in der Landeshauptstadt in konkreten Aufbruch zu verwandeln.