Neue Talente drängen sich auf
Während die Eigengewächse im VfB-Profikader bislang auf wenig Einsatzzeit kommen, rücken formstarke Jugendspieler in den Fokus.

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Raul Paula (li.) hat in zwölf Spielen bei der U 21 elf Tore erzielt.
Von David Scheu
Stuttgart - Eine Länderspielpause ist ja immer auch eine Chance für die Daheimgebliebenen. Viele Stammkräfte sind mit ihren Nationalteams auf Reisen, die Kader der Bundesligisten lichten sich vorübergehend – was dann anderen die Möglichkeit bietet, sich in den Fokus zu spielen. Beim VfB Stuttgart ist das Ganze auch mit der Frage verbunden, welches Eigengewächs sich womöglich aufdrängt. Denn: Den erhofften Durchbruch mit regelmäßigen Einsätzen bei den Profis hat in den vergangenen Jahren niemand aus dem Nachwuchsleistungszentrum geschafft.
Auch in dieser Saison noch nicht. Drei Feldspieler aus der eigenen Talentschmiede gehören dem Lizenzspielerkader an, ihre Einsatzzeiten sind übersichtlich. Lilian Egloff (21) kommt auf 86 Minuten in drei Spielen, Thomas Kastanaras (20) und Laurin Ulrich (18) warten noch auf ihre erste Profipartie dieser Spielzeit. Das hat Gründe.
Bei Egloff hängt einiges mit seiner Position im zentralen Mittelfeld zusammen, wo die Konkurrenzsituation schlicht immens ist. Atakan Karazor und Angelo Stiller bringen seit Wochen starke Leistungen, Enzo Millot etwas offensiver ebenfalls. Aus der zweiten Reihe drängt Deniz Undav in die Startelf, Woo-yeong Jeong wird ebenfalls mit viel Selbstvertrauen nach dem Titelgewinn bei den Asienspielen zurückkehren. „Wir haben da einfach gute Spieler“, sagt Trainer Sebastian Hoeneß, „Li muss dranbleiben.“ 2024 läuft der Vertrag des Heilbronners aus, die Zukunft ist offen.
Die anderen beiden Youngsters haben lange Verletzungspausen hinter sich: Stürmer Kastanaras fiel über Monate mit einem Mittelfußbruch aus und tankte zuletzt bei der U 21 Selbstvertrauen mit drei Toren in zwei Regionalliga-Einsätzen. Noch ein Stück weiter weg ist Mittelfeldspieler Ulrich, der immer wieder kränkelte und sich im Sommer schließlich die Mandeln entfernen ließ. „Seit ich da bin“, sagt Hoeneß über die vergangenen sechs Monate, „habe ich Laurin eigentlich nie wirklich fit gesehen. Das sagt er auch selbst.“ Vorerst wird er deshalb wohl wie Kastanaras bei der U 21 Spielpraxis sammeln.
Bei anderen könnte es schneller gehen. Mittlerweile klopfen mehrere Talente aus der eigenen Jugend an die Profitüre – laut und deutlich durch starke Leistungen in den U-Mannschaften. Raul Paula zum Beispiel. Der offensive Mittelfeldspieler steht nach zwölf Regionalliga-Spielen für die U 21 bei beachtlichen elf Toren, was nicht unbemerkt geblieben ist. „Raul hat sich bei uns absolut in den Fokus gespielt“, sagt Hoeneß über den spielstarken 19-Jährigen, der im Test gegen den Zweitligisten SV Wehen Wiesbaden (5:1) am vergangenen Donnerstag den letzten Treffer vorbereitet hatte.
Wenn er so weitermache, „stehen ihm alle Möglichkeiten offen“, so Hoeneß. Einziger Haken: Paulas Position. Zwar ist er in der Offensive relativ flexibel einsetzbar, aber doch eher im Zentrum zu Hause. Und da verfügt der VfB – man braucht nur Egloff zu fragen – über viel Qualität im Kader. Dennoch hat Paula die Türe weit aufgestoßen.
Das gilt auch für Luca Raimund (18). Der pfeilschnelle Linksfuß macht schon seit Wochen auf sich aufmerksam, zuletzt trainierte er immer wieder bei den Profis, anstatt bei der A-Jugend. „Luca Raimund ist ein vielversprechendes Talent, er hat sich durch starke Leistungen bei der U 19 die Trainingseinsätze bei den Profis verdient“, sagt Sportdirektor Fabian Wohlgemuth. „Wir trauen ihm zu, dass er sich mittelfristig in unserer Bundesliga-Mannschaft festspielt.“
Seine Ambitionen untermauerte Raimund mit einem sehenswerten Treffer im Test gegen Wiesbaden, als er von rechts ins Zentrum zog und den Ball in die lange Ecke schlenzte. Die ersten Pflichtspielminuten scheinen nicht mehr weit weg, gegen den FSV Mainz 05 und Darmstadt 98 stand der Böblinger bereits im Aufgebot. Und auf Raimunds Position könnten sich durchaus Möglichkeiten ergeben. Silas Katompa und Jamie Leweling spielten auf der rechten Seite zuletzt zwar keineswegs schwach, aber auch nicht am oberen Leistungslimit. Ein Einwechselkandidat ist Raimund mit seinem Tempo allemal.
Fest steht aber auch: Über das Knie brechen werden sie das Ganze beim VfB nicht, Wohlgemuth ist bekannt als Befürworter eines schrittweisen Heranführens an den Leistungssport. Im Frühjahr hatte er zum Beispiel mit dem damaligen Cheftrainer Bruno Labbadia entschieden, Ulrich nach einem grippalen Infekt zum Formaufbau in die U 19 zu schicken. Nicht nur für die Spiele, auch im Trainingsbetrieb. Auch für Raul Paula ging es in dieser Saison vorübergehend wieder zur U 21, nachdem er in der Vorbereitung bei den Profis dabei gewesen war.
„Entscheidend ist“, sagt der Stuttgarter Sportdirektor, „dass unsere Talente die nötige Zeit für ihre Entwicklung bekommen.“ Das hat aus seiner Sicht vor allem einen Grund. „Es dauert einfach, um sich an die Wettkampfhärte im Profifußball zu gewöhnen“, so der langjährige Nachwuchschef des VfL Wolfsburg. Dass das Potenzial dafür bei mehreren Stuttgarter Talenten aber vorhanden ist, steht für Wohlgemuth außer Frage: „Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft mit dem richtigen Maß an Geduld den einen oder anderen unserer Nachwuchsspieler bei den Profis sehen werden.“ Vielleicht ja schon früher als gedacht.