Neue Wege im Bereich der Pflege

Der Neubau schreitet voran, nun hat die Erich-Schumm-Stiftung die Konzeption für den Betrieb vorgestellt. Ambulante und stationäre Pflege sollen gleichermaßen angeboten werden. Das Herzstück bildet die Praxisklinik Oberes Murrtal, die unter anderem Telemedizin anbieten soll.

Der Neubau in der Fornsbacher Straße soll eine neue Kombination ambulanter und stationärer Pflege anbieten. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Der Neubau in der Fornsbacher Straße soll eine neue Kombination ambulanter und stationärer Pflege anbieten. Fotos: J. Fiedler

Von Lorena Greppo

Murrhardt. Der Gesundheitssektor hat bekanntermaßen mit einigen Problemen zu kämpfen. Personalmangel und überbordende Bürokratie sind nur zwei Aspekte, die Rolf Barreuther, Vorstand der Erich-Schumm-Stiftung, und Thorsten Pilgrim, Geschäftsführer des Unternehmens Viamed, vorbrachten. Speziell in der Pflege machten sich zudem die kürzere Verweildauer und der meist höhere Pflegegrad bemerkbar. Um diesen und weiteren Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft etwas entgegensetzen zu können, haben sich die Verantwortlichen ein völlig neues, in dieser Form einzigartiges Konzept überlegt, welches mit dem Neubau in der Fornsbacher Straße in Murrhardt in die Umsetzung gehen soll und nun der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. „Ein sektorübergreifendes Versorgungsmodell im ländlichen Raum“, nannte Barreuther es. Erstmals überhaupt würden stationäre und ambulante Betreuung älterer Menschen überhaupt in einer Einrichtung angeboten. Damit dies möglich wird, war einiges an Überzeugungsarbeit nötig, so der Stiftungsvorstand.

2019 nämlich habe ihn erst einmal ein „K.-o.-Schlag“ ereilt. Die Heimaufsicht habe damals deutlich gemacht: Die Vermischung der Betreuungsarten gehe so nicht. Dabei seien sich alle, denen er das Konzept vorgestellt hatte, einig gewesen: Genau so etwas werde benötigt. Unterstützung erhielt Barreuther dann von Landrat Richard Sigel, der sich an das Sozialministerium gewandt habe. Und siehe da: Die Antwort fiel positiv aus. Eine Auflage sei, dass für die Kurzzeitpflege separat Betten zur Verfügung gestellt werden. Das soll im Neubau umgesetzt werden. „Wo ursprünglich die Räume für die Polizei geplant waren, kommen nun zehn zusätzliche Zimmer rein“, klärt Barreuther auf. Insgesamt komme der Gebäudekomplex somit auf 100 Pflegeplätze. Möglich sei es somit auch, dass Angehörige eine zu pflegende Person zeitweise unterbringen können, wenn sie etwa im Urlaub sind.

Im Neubau soll auch ein Pflegestützpunkt Platz finden

„Ich bin stolz darauf, dieses System zum Laufen zu bekommen“, betont Barreuther. Aber nicht nur stationäre und ambulante Pflege seien Teil der neuen Konzeption der Schumm-Stiftung. Auch sogenanntes Wohnen mit Service ist möglich. Gestellt werden hierbei Verpflegung, Reinigung, Hausmeisterservice und Gartenarbeiten. Bei der Verpflegung, hebt Barreuther mit Stolz hervor, habe die Service GmbH erst kürzlich den Vertrag mit der Firma Bosch verlängert und beliefere den nahe gelegenen Standort. Hinzugekommen ist außerdem die Warmverpflegung der Schule und Kinderbetreuungsstätten in Aspach.

„Wir wollen rechtzeitig der Ansprechpartner werden für all jene Angelegenheiten, die den Alltag erschweren“, formuliert der Stiftungsvorstand den eigenen Anspruch. Lösungen sollten für alle Bürger in Murrhardt und darüber hinaus angeboten werden, nicht nur für die Bewohner. Daher würden im Eingangsbereich des Neubaus Räume für einen Pflegestützpunkt des Landkreises gestellt, in dem sich alle Rat holen können. Am Empfang klärt ein Kümmerer direkt Anliegen und leitet Patienten an die richtige Station weiter.

„Dem Menschen ganz nah“ – dieser Leitsatz sei in der Erich-Schumm-Stiftung zur Marke geworden und werde mit der neuen Konzeption noch einmal mit neuen Inhalten gefüllt.

Ein wichtiger Pfeiler hierbei ist die Praxisklinik Oberes Murrtal, die ebenfalls im Neubau Einzug halten soll. Bei deren Ausgestaltung haben sich die Verantwortlichen der Schumm-Stiftung Fachleute aus Stuttgart mit ins Boot geholt, unter anderem Thorsten Pilgrim. Der Unternehmer war selbst sechs Jahre lang im Olgahospital als Kinderarzt tätig und kennt die Herausforderungen der Branche: Kliniken am Anschlag, lange Wartezeiten für ambulante Patienten, Bürokratie sowie dass psychosoziale Themen meistens auf der Strecke bleiben. Gleichzeitig blieben Zukunftsthemen wie personalisierte Medizin, Telemedizin, künstliche Intelligenz und Robotik oft unbearbeitet. „Wir müssen die Veränderungen, die auf uns zukommen, in irgendeiner Weise annehmen“, forderte er. Das habe das Team um ihn und Barreuther getan. Was dabei herauskam, sei „ein absolutes Novum“. Wie genau dieses funktioniert, machte Pilgrim anhand eines Beispiels deutlich: Eine Patientin mit chronischen Gelenkschmerzen kommt in die Praxisklinik. Der Orthopäde vermutet eine rheumatische Erkrankung. „An dieser Stelle wäre in einer normalen Praxis schon das Ende“, führt Pilgrim aus. Dort bekomme sie eine Überweisung an die Rheumatologie und müsse womöglich gut anderthalb Jahre auf einen Termin warten. „In dieser Zeit hat die Frau aber weiterhin Schmerzen.“

Die Digitalisierung soll Prozesse schon bei der Diagnose vereinfachen

Wie also kann es besser gehen? In der Praxisklinik will man stattdessen im Handumdrehen eine digitale Sitzung mit einer Rheumatologin anbieten. Denn viele – vor allem aber weibliche – Fachärztinnen und Fachärzte seien in Teilzeit in einer Klinik angestellt und hätten Kapazitäten. Attraktiv will man die Kooperation für sie machen, indem ihnen Formalitäten wie die Abrechnung, der Abschluss einer Haftpflichtversicherung und bis zu einem gewissen Grad die Dokumentation abgenommen wird. Kommen bei der digitalen Sitzung noch notwendige weitere Untersuchungen auf – etwa ein Blutbild – könne dies vor Ort in der Praxisklinik erbracht werden. Und mit einem weiteren Aspekt wollen die Verantwortlichen auftrumpfen: auch andere Disziplinen können einbezogen werden. In diesem Fall beispielsweise ein Physiotherapeut. Auf die Frage des Landrats, ob denn schon ein Pool an Ärzten bestehe, antwortete Pilgrim, 4500 Ärzte unter Vertrag zu haben. Bezüglich der Psychotherapie arbeite man zudem mit der Uniklinik Tübingen zusammen. „Das ist etwas vollkommen Neuartiges und wir werden sicherlich holpern und stolpern und Lehrgeld zahlen“, räumte er ein. Dennoch seien alle Verantwortlichen überzeugt, dass der richtige Weg gefunden wurde.

Rolf Barreuther (links) und Thorsten Pilgrim stellten die Konzeption der Erich-Schumm-Stiftung und der Praxisklinik Oberes Murrtal vor.

© Jörg Fiedler

Rolf Barreuther (links) und Thorsten Pilgrim stellten die Konzeption der Erich-Schumm-Stiftung und der Praxisklinik Oberes Murrtal vor.

Vollbetrieb 2024 geplant

Planung Nach über fünf Jahren der Konzeptionsphase und dreijähriger Planungszeit wurde im November 2019 mit der Umsetzung des Pflegeheims einschließlich Tagespflege und eines ambulanten Dienstes begonnen. Der Baggerbiss für den Neubau erfolgte im September 2019, der Bau ist seitdem weit vorangeschritten. Im kommenden Jahr ist laut Pilgrim der Bezug der Räume und der Start mit der Orthopädie vorgesehen. Im Jahr darauf werde das Angebotsspektrum verbreitert, 2024 soll dann der Vollbetrieb erreicht sein.

Eigentum Ein Streitpunkt war die Ablösung des Erbbaurechts für den Grund, auf dem sich das Gebäude befindet und der der Stadt gehört. Die Stiftung wäre so Volleigentümer. Nach langwierigen Verhandlungen stehe man nun kurz vor dem Abschluss dieser Transaktion.

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Erstellt:
25. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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