Arbeitspflicht für Geflüchtete
Nicht nur Unkrautjäten für 80 Cent
Der Präsident des Landkreistages, Joachim Walter (CDU), legt nach und erneuert die Forderung der baden-württembergischen Landräte, dass Flüchtlinge rasch in Arbeit kommen sollten – auch um gesellschaftlich akzeptiert zu werden.

© dpa/Holger Hollemann
Ein marokkanischer Flüchtling arbeitet in der Altenpflege.
Von Bernhard Walker
Die baden-württembergischen Landräte lassen nicht locker. Hatten sie am 20. Juli eine Arbeitspflicht für Geflüchtete gefordert und damit neben Zuspruch auch Kritik ausgelöst, legt Joachim Walter, der Präsident des Landkreistags, nun nach. Es sei wichtig, dass Flüchtlinge rasch in Arbeit kämen – auch mit Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz, so der CDU-Politiker.
Dabei wissen natürlich auch die Landräte, dass es die Pflicht schon gibt – jedenfalls auf dem Papier. So heißt es im Asylbewerberleistungsgesetz, dass arbeitsfähige Asylbewerber, „zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet sind“. Dafür bekommen sie 80 Cent je Stunde.
Allerdings gibt es nur wenige dieser „Arbeitsgelegenheiten“. Denn laut Gesetz sollen sie primär in den Unterkünften selbst stattfinden, genauer: zur „Aufrechterhaltung und Betreibung der Aufnahmeeinrichtung“. Darunter fällt beispielsweise, das Haus zu putzen oder die Grünfläche rund um das Gebäude zu pflegen. Daneben sollen die „Arbeitsgelegenheiten“ bei staatlichen, kommunalen oder gemeinnützigen Stellen nur dann entstehen, wenn sie keine bestehenden Jobs verdrängen.
Bestehende Jobangebote schaffen keine Brücke in den Arbeitsmarkt
Zwar gibt es keinen bundesweiten Überblick, wie viele dieser Jobs es zuletzt gab. Dass sie unter diesen engen Voraussetzungen kaum entstehen und keine Brücke in den Arbeitsmarkt schaffen, liegt auf der Hand. Es sei falsch, weiter auf das sprichwörtliche „Unkrautjäten um die Unterkunft herum“ zu setzen, meint Walter. „So viel Unkraut gibt es gar nicht“, sagte er jüngst im ZDF.
Die Landräte fordern deshalb eine Pflicht, die über den bestehenden rechtlichen Rahmen hinausgeht. So soll eine Win-win-Situation entstehen: Firmen, die dringend Leute suchen, bekommen neue Mitarbeitende – und die Asylbewerber müssen, so Walter, „nicht über längere Zeit tatenlos herumsitzen“. Konsequenterweise spricht er sich auch dafür aus, bestehende Arbeitsverbote für Geflüchtete aufzuheben.
Wie die Ampel das Gesetz ändern müsste, damit diese Win-win-Situation entsteht, ist allerdings offen – und auch, ob die Regierungskoalition das überhaupt machen will. Klar ist nur, dass ein erster Anlauf in diese Richtung ein Flop war. Von 2016 bis 2020 gab es sogenannte Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM), die ebenfalls mit einer Pflicht verbunden waren. Sie zielten darauf ab, anstelle von Unkrautjäten stärker auf „externe FIM“ zu setzen und so die Integration in den Arbeitsmarkt zu forcieren. Anfangs hatte die Große Koalition mit etwa 100 000 FIM gerechnet – tatsächlich kamen bundesweit nur knapp 40 000 zustande, wie die Bundesregierung im Juli 2021 mitteilte.
Mit einer Neuauflage der FIM wäre also kaum etwas gewonnen. Immerhin stellten allein in Baden-Württemberg von Januar bis Ende Juni dieses Jahres 17 021 Personen einen Erstantrag auf Asyl. Bundesweit waren es im gleichen Zeitraum knapp 151 000. Die Pflicht, wie sie im Asylbewerberleistungsgesetz steht, gilt übrigens nicht für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie sind ja nicht im Asylverfahren. Bei ihnen ist also klar, dass sie in jedem Fall arbeiten dürfen. Aktuell leben in Deutschland knapp 800 000 Personen im Alter von 15 bis 65 Jahren, die ukrainische Staatsbürger sind.
Mehr als 300 000 von ihnen sind aktuell in Integrations- und Sprachkursen, 143 000 haben eine sozialversicherungspflichtige Stelle. Das sind nicht viele, wenn man bedenkt, dass die Flüchtlinge laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beruflich sehr gut qualifiziert sind. Allerdings können viele keinen Job annehmen, weil es an Kinderbetreuung oder Sprachkursen fehlt oder weil ihre ukrainische Qualifikation in Deutschland (noch) nicht anerkannt ist.
Große Unterschiede zeigen sich zwischen den Geschlechtern
Landrat Walter will deshalb an dieser Stelle Abstriche machen. Wer in der Ukraine in der Pflege oder der Kinderbetreuung tätig gewesen sei, müsse dies auch hier tun dürfen, bis die Anerkennung vorliege. Und in der Gastronomie oder der Lebensmittelbranche gebe es viele offene Jobs, die man auch machen könne, ohne Deutsch auf hohem Sprachniveau sprechen zu können.
Was die Integration in den Arbeitsmarkt angeht, ist Zeit ein wesentlicher Faktor. Inzwischen sind nach Angaben des IAB 54 Prozent der Geflüchteten erwerbstätig, die 2015 in die Bundesrepublik kamen – das ist ein Plus von zehn Prozentpunkten gegenüber 2020. Die meisten waren in Vollzeit tätig, 15 Prozent machten eine Ausbildung, ein Praktikum oder einen Minijob.
Große Unterschiede zeigen sich zwischen den Geschlechtern. Während sechs Jahre nach der Ankunft in Deutschland fast 70 Prozent der Männer im Erwerbsleben stehen, sind es bei den Frauen nur 23 Prozent.