Rettung von oben will gut einstudiert sein

Über dem leeren Gaskessel im Stuttgarter Osten ist am Mittwoch für längere Zeit ein Polizeihubschrauber gekreist. Mit einer Winde wurden Personen hochgezogen – es war eine Übung der Höhenrettung der Feuerwehr Stuttgart und der Polizeihubschrauberstaffel.

Polizei und Feuerwehr arbeiten beim Retten auf dem Luftweg Hand in Hand.

© Lichtgut//Rettig

Polizei und Feuerwehr arbeiten beim Retten auf dem Luftweg Hand in Hand.

Von Christine Bilger

Stuttgart - Wenn das Leben am seidenen Faden hängt, dann hängt der oder die Verletzte mitunter an einem Stahlseil. Bei gemeinsamen Einsätzen holen die Höhenrettung der Feuerwehr Stuttgart und die Polizeihubschrauberstaffel verunglückte Menschen aus unwegsamem Gelände oder, wie im Ahrtal vor zwei Jahren nach dem Hochwasser, vom Dach des eigenen Hauses.

Damit die Rettung mit dem Stahlseil sprichwörtlich wie am Schnürchen läuft, üben die Einsatzkräfte regelmäßig zusammen. Normalerweise tun sie das in etwas abgelegenem Gelände, etwa am Albtrauf, sagt der Kriminaldirektor Martin Landgraf, der stellvertretende Leiter der Polizeihubschrauberstaffel.

Doch es muss auch mal zivilisationsnah sein. Denn Unfälle passieren auch an schwer zugänglichen Stellen, etwa auf Firmenarealen. Und darum dreht der Polizeihubschrauber am Mittwochmorgen etliche Runden – immer wieder in der liegenden Acht über die Dächer – auf dem Gelände der Netze BW, beim ehemaligen Gaskessel im Stuttgarter Osten an der Talstraße.

Am Steuer sitzen als Piloten zwei Polizisten, auf den Kufen steht ein weiterer, der sich Windenoperator nennt. An der Winde, die er bedient, hängt ein Feuerwehrmann. Mal mit einer Trage, mal mit einem Geschirr holt der Feuerwehrmann zusammen mit den Polizeibeamten seine Kollegen vom Dach des Gaskessels oder eines Turms, der zum ehemaligen Flüssiggastank auf dem Gelände zählt, und setzt sie auf dem Hügel, der sich über dem Flüssiggastank wölbt, wieder ab.

Zwei Arten der Rettung, zwei mögliche Einsätze üben Polizei und Feuerwehr gemeinsam an diesem Mittwoch. Das erste Szenario: Auf dem Dach des Gaskessels muss eine verletzte Person abgeholt werden, die auf eine Trage geschnallt ist. Landen können Hubschrauber zwar senkrecht ohne allzu großen Platzanspruch – es bedarf schließlich keiner Start- oder Landebahn, sie gehen senkrecht hoch und runter.

Aber auf einem Gebäudedach kann es dann doch zu eng sein. Und die Konstruktion müsste die rund vier Tonnen Gewicht des Hubschraubers aushalten – was nicht sicher ist. Lieber nicht landen. Deswegen kommt der Retter am Seil herab. Er hakt die Trage mit der verletzten Person ein, gibt ein Handzeichen, und es geht wieder hoch zum in der Luft „stehenden“ Hubschrauber.

Das Handzeichen ist im Moment des Baumelns die einzige Kommunikationsmöglichkeit. Funkverbindung halten nur die Piloten und der Windenoperator. „Wenn er runtergeht, helfen nur Handzeichen“, sagt Martin Landgraf. Und Strampeln, Rudern, ein bisschen Zappeln, das kann auch helfen. Das dient dann allerdings weniger dem Austausch mit den Kollegen im Hubschrauber als dem Ausgleich der Kräfte, die auf den Mann am Seil wirken.

Bei der zweiten Übungssituation müssen die Feuerwehrleute mit derlei Bewegungen ihre Position korrigieren, wenn sie versuchen, die kleine Fläche auf dem Turm der Flüssiggasanlage zu treffen. „Es kann einen in alle Richtungen drehen“, sagt Landgraf. Die Punktlandung gelingt, der Patient bekommt ein Geschirr angelegt, mit dem er zusammen mit dem Retter hochgezogen wird.

Dieses Bild kennt man aus dem Ahrtal: Mit dieser Methode, ohne Trage, holte die Feuerwehr Stuttgart zusammen mit der Hubschrauberstaffel Baden-Württemberg etliche Menschen im überfluteten Bereich von den Hausdächern. „Wir bekommen immer mehr Extremwetterlagen. Darauf müssen wir uns einstellen“, sagt Landgraf. In jener Zeit erlebte er, dass das Knattern der Rotorenblätter selbst nachts nicht als störend empfunden wurde. „Hier bekommen wir immer etliche Anrufe, auch verbunden mit Beschwerden“, sagt der Vizechef der Hubschrauberstaffel.

Aber im Ahrtal war das Geräusch ein Hoffnungszeichen. „Die Leute haben uns gesagt, dass das Geräusch für sie nahende Hilfe bedeutete“, berichtet Landgraf. Er hat einen dringenden Appell: So aufregend es sein mag, wenn die Polizei über den Dächern des Wohnorts mit dem Hubschrauber steht, sollte man dennoch die Polizei nicht unter der Notrufnummer geradezu ausfragen. „Die 110 ist dafür nicht da. Gerade wenn ein Einsatz läuft, muss die Leitung frei sein.“ Landgraf setzt auf die Geduld der Menschen, die Informationen aus den Medien beziehungsweise auf den Social-Media-Kanälen der Polizei zu erhalten.

Etwa alle zwei Monate üben die Wehrleute und die Hubschrauberstaffel gemeinsam. Denn im Notfall muss jeder Handgriff sitzen. „Der Windenoperator hat einen echt harten Job“, sagt Landgraf. „Er steht draußen auf der Kufe des Hubschraubers, ist hinten eingehakt und kriegt den Wind mit einem Druck von vier Tonnen in den Nacken“, erklärt der stellvertretende Leiter der Hubschrauberstaffel. Nur fünf seiner Leute machen diese Aufgabe. Die Winde ist an zwei der sechs Hubschrauber des Modells Airbus H 145 angebracht. „Er sieht cool aus, aber unter dem Strich ist es eben auch ein Arbeitsplatz“, sagt Landgraf über den Hubschrauber.

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Erstellt:
16. August 2023, 22:06 Uhr

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