Selbstsicher im Maschinenraum
Angelo Stiller hat beim VfB auf Anhieb eine tragende Rolle eingenommen. Doch der Trainer Sebastian Hoeneß will dem Mittelfeldspieler nicht zu viel Verantwortung aufbürden – gerade weil viele in dem 22-Jährigen den Nachfolger von Wataru Endo sehen.

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<b> Angelo Stiller ist noch nicht lange beim VfB – fühlt sich aber schon richtig wohl im Team. </b> <b> Foto: Baumann </b>
Von Carlos Ubina
Stuttgart - Erstmals in dieser Bundesligasaison bekommt es Angelo Stiller mit einem anderen Gegner zu tun. Am vierten Spieltag. Bislang trat der Fußballprofi ja nur gegen den SC Freiburg an – erst mit der TSG Hoffenheim, zuletzt mit dem VfB Stuttgart. Mit wechselndem Erfolg: 1:2 mit der TSG verloren, 5:0 mit dem VfB gewonnen. Nun steht mit seinem aktuellen Arbeitgeber an diesem Samstag (15.30 Uhr) die Auswärtsbegegnung beim 1. FSV Mainz 05 an, und eines ist sicher: der Mittelfeldspieler wird wieder viel unterwegs sein.
Auf durchschnittlich 11,22 Kilometer pro Partie bringt es Stiller bisher. Das ist ein starker Wert, kein anderer Stuttgarter weist eine höhere Laufleistung auf. In der Mewa-Arena dürfte der 22-Jährige kaum weniger gefordert sein. Einen „hochintensiven Powerfußball“ erwartet der VfB-Trainer Sebastian Hoeneß von den Mainzern. Trotz des schlechten Saisonstarts mit einem Punkt – oder gerade deshalb.
Die Rheinhessen sind berühmt-berüchtigt dafür, es ihren Gegnern unter dem Coach Bo Svensson schwer zu machen, sie körperlich zu stressen. Da wird auf Stuttgarter Seite die zuletzt viel zitierte neue Widerstandsfähigkeit gefragt sein. Ein Element, das Stiller mit seiner konsequenten Zweikampfführung einbringen kann. Er agiert aus dem defensiven Mittelfeld heraus, obwohl er auch über offensive Qualitäten verfügt. „Da können sich die Gelehrten ruhig weiter streiten“, sagt Stiller zu seinem Zuschnitt, „ich kann beides spielen und habe keine Priorität.“
In den VfB-Reihen bildet er mit Atakan Karazor die neue Mitte – der Maschinenraum vor der Abwehr. Hier werden möglichst früh die gegnerischen Angriffe abgefangen, um nach der Balleroberung schnell die eigenen Attacken einzuleiten. Mit seinen Aktionen bestimmte Stiller dabei schon während seines Debüts im Trikot mit dem Brustring den Rhythmus des Stuttgarter Spiels. Als sei er bereits einige Jahre beim VfB am Ball.
Doch es sind erst wenige Wochen, wenngleich sich Stiller offenbar in Rekordzeit integriert hat. Sportlich und menschlich, auf dem Platz und in der Kabine. Neben Karazor gibt er im Mittelfeld die Kommandos. „Er ist sehr laut“, sagt Stiller über den Nebenmann, „wir coachen uns gegenseitig sehr viel, aber auch die anderen Spieler.“ Die frische Kraft mit der Rückennummer sechs erhebt nicht den Anspruch auf die Chefrolle, er sieht das Vorgehen als Teamarbeit: „Es macht sehr viel Spaß, mit jemandem im Zentrum zu spielen, der genauso tickt wie ich.“
Stiller wie Karazor übernehmen in der Defensive Verantwortung. Sie sind sich nicht zu schade, Räume zu schließen, die ihre Mitspieler preisgeben, und sie werfen sich in die direkten Duelle, um die Viererkette zu schützen. Das Tandem bringt sich zudem nach vorne ein. Stiller mit Risikopässen und Freiheiten mehr als Karazor, der seinem Spiel jedoch zusätzliche Offensivanteile beimischen will. Zusammen soll das den VfB ins Gleichgewicht bringen – zwischen der nötigen Stabilität hinten und der erforderlichen Kreativität vorne.
Eine tragende Rolle hat Stiller also auf Anhieb eingenommen – mit seiner Selbstverständlichkeit, sich auch unter Druck anspielen zu lassen. „Wir haben eine gewisse Erwartung an ihn, dass er uns bereits kurzfristig hilft“, sagt Hoeneß, der den Mittelfeldspieler aus seiner Zeit in Hoffenheim und zuvor beim Nachwuchs des FC Bayern kennt. Beide sind gebürtige Münchner und wissen, was sie aneinander haben. Hoeneß einen Spielertyp, auf den er sich verlassen kann und der seine Spielidee umsetzt. Stiller einen Coach, der ihm vertraut und seine Stärken zum Tragen bringt.
Doch Hoeneß verfolgt auch mittel- und langfristige Ziele in der Entwicklung. Stiller soll weiter zur Führungsfigur heranreifen. Das ist die Hoffnung, weil der U-21-Nationalspieler für zunächst fünfeinhalb Millionen Euro als Nachfolger von Wataru Endo geholt wurde. Der Trainer warnt aber davor, Stiller jetzt schon mit dem zum FC Liverpool gewechselten Japaner zu vergleichen. „Das dürfen wir ihm nicht aufbürden“, sagt der Trainer und verweist darauf, dass Endo zu Beginn seiner VfB-Zeit nicht der gleiche Spieler gewesen sei wie zum Schluss.
Endo kam mit 26 Jahren aus Belgien und saß in der zweiten Liga erst einmal auf der Bank, weil ihn der damalige Trainer Tim Walter gar nicht haben wollte. Er ging mit 30 Jahren als Kapitän und Vereinslegende, weil er den VfB 2022 mit einem Siegtor in letzter Sekunde vor dem Abstieg bewahrt hatte. Große Fußstapfen sind das, in die Stiller mit erst knapp 50 Bundesligaeinsätzen getreten ist. Doch der Mittelfeldspieler selbst macht sich darüber keinen Kopf. Er hat eine neue Herausforderung gesucht – und in Stuttgart gefunden. Auch weil ihn die ganze Atmosphäre rund um den VfB reizt. „Das ist schon etwas Besonderes“, sagt Stiller über die Lautstärke und Emotionalität, welche die Spiele begleiten.