Rechter Kommissar
Ursula von der Leyen hat einen politischen Sprengsatz platziert
Die EU-Chefin präsentiert mit ihrer neuen Kommission einen typischen europäischen Kompromiss. Die größte Gewinnerin ist Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, meint unser Autor.
Von Knut Krohn
Ursula von der Leyen bleibt eine große Blamage erspart. Allen Querelen und Rückschlägen zum Trotz, kann die EU-Kommissionschefin in Straßburg ihre neue Mannschaft präsentieren. Natürlich versucht sie bei der öffentlichen Vorstellung, ihre Niederlagen in Erfolge umzudeuten – etwa in der umstrittenen Frauenfrage.
Über Wochen übte die Deutsche massiven Druck auf die EU-Mitgliedsländer aus, mehr Kandidatinnen zu nominieren. Nun sitzen aber in der neuen Kommission weniger Frauen als in der alten. Doch Ursula von der Leyen betont, dass es in Zukunft vier Vizepräsidentinnen und nur zwei Vizepräsidenten geben werde. Zudem geht das mächtige Ressort Wettbewerb an eine Frau, die Spanierin Teresa Ribera.
Mit kaum einem Wort erwähnt wird von Ursula von der Leyen auch der spektakuläre Abgang von Thierry Breton. Der Franzose war als Kommissar zwar gesetzt, doch hat er seiner deutschen Chefin am Montag überraschend die Brocken vor die Füße geworfen, weil er sich ungerecht behandelt fühlte.
Natürlich bestimmen in diesem Fall gekränkte Eitelkeiten eines sehr selbstbewussten Mannes maßgeblich die Regie. Die Lautstärke dieses politischen Theaterdonners gibt allerdings auch einen tiefen, sehr ernüchternden Einblick in das deutsch-französische Verhältnis. Wenn in früheren Jahren die gemeinsamen Initiativen in Paris und Berlin das oft wankelmütige Europa auch durch tiefe Krisen führten, herrscht heute in schwierigen Zeiten eine gefährliche Sprachlosigkeit.
Giorgia Meloni baut ihre Macht in der EU aus
Selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der in den vergangenen Jahren seine Ideen für Europa immer wieder wie ein leuchtendes Feuerwerk abbrannte, erscheint durch die von ihm verschuldete politische Krise in Paris gelähmt. Auf der anderen Seite zeigte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz noch nie ein Interesse daran, in der EU eine Führungsrolle auszuüben.
In dieses Vakuum stößt Italiens Premierministerin Giorgia Meloni. Der Postfaschistin ist es gelungen, mit Raffaele Fitto einen ihrer Gefolgsleute auf einem der einflussreichsten Posten in der Kommission zu platzieren. Er wird Vizepräsident und Kommissar für Kohäsion. Damit wäre er unter anderem für den Europäischen Sozialfonds und einen Fonds für regionale Entwicklung verantwortlich. Melonis Jubel über diese Entscheidung kennt keine Grenzen, sichert sie ihr doch zusätzlich Macht und Einfluss in Brüssel.
Mit dieser Personalie hat Ursula von der Leyen allerdings einen politischen Sprengsatz in ihrer eigenen Kommission platziert. Denn viele Europaparlamentarier sind zu Recht entsetzt und haben ihren Widerstand gegen den extrem-rechten Italiener angekündigt. Es ist mehr als fraglich, ob es Ursula von der Leyen gelingen wird, die Abgeordneten, die nun der Kommission noch mehrheitlich zustimmen müssen, von dieser umstrittenen Besetzung zu überzeugen.
Das heißt, es werden noch Wochen oder Monate ins Land gehen, bis die Europäische Union endlich eine neue Führung präsentieren kann. In den aktuellen Krisenzeiten ist es fatal, dass Europa politisch wieder einmal vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Für den Moment sind allerdings alle Protagonisten erleichtert, dass die drohende, ganz große Krise abgewendet ist. Denn der EU-Kommissionschefin ist es in wochenlanger Überzeugungsarbeit vorerst gelungen, einen typischen europäischen Kompromiss zu schmieden. Das heißt, alle sind irgendwie zufrieden, aber niemanden ist wirklich überzeugt.