Warten auf die leeren Dosen

„Vorglühen“ gehört zum Wasen wie Geisterbahn und Hähnchen. Für die Entsorgung des Leerguts sorgen Menschen wie Harald Öhler.

Weitere acht Cent sind Harald Öhler sicher.

© StZN/Wein

Weitere acht Cent sind Harald Öhler sicher.

Von Eberhard Wein

Stuttgart - Wer mitdenkt und ein Herz hat, der trinkt sein Fahrbier aus, bevor er durch die Unterführung zum Wasen geht: so wie die drei jungen Kerle im Janker, die am Nachmittag von der S-Bahn kommen, die Hofbräu-Dosen in der Hand. Denn am Eingang zum Festgelände steht die Security, die alles einkassiert und in große schwarze Müllcontainer befördert. Hier draußen aber warten diejenigen, die den Wert des Leerguts wirklich zu schätzen wissen. 25 Cent für eine Einwegflasche, 15 Cent für einen Mehrwegbehälter, acht Cent für die Bierflasche, 15 Cent, wenn sie einen Bügel hat.

Fürs Büchsenbier gibt es 25 Cent, weshalb die jungen Männer attraktive Kunden sind. Eine ältere Frau mit Lidl-Tasche spricht sie an, während die Jungs die letzten Tropfen hinunterkippen, als ob es an diesem noch sehr jungen Abend nichts mehr geben wird. Doch eigentlich haben sie das Leergut schon einem untersetzten Herrn mit Glatze versprochen. Mangels Deutschkenntnissen kann er sich gegen die geschäftstüchtige Dame nicht so recht wehren. Immerhin: Man einigt sich auf eine Teilung im Verhältnis zwei zu eins.

Harald Öhler beobachtet still die Szene. Er geht diesmal leer aus. Vier Einkaufswagen hat er vor der Unterführung geparkt und vorne gelbe Säcke drangehängt. Die Pfandchips sind die notwendige Investition für den Start ins Flaschensammel-Gewerbe. Noch sind die Wagen spärlich gefüllt: Wulle, Hofbräu, Alpirsbacher und sogar ein paar Flaschen Chiemseer Hell (Sind da etwa Bayern in Stuttgart fremdgegangen?) darf er sein Eigen nennen.

Um 10 Uhr morgens ist er von Esslingen hergefahren, doch ein guter Teil der Flaschen stammt noch vom Vortag. „Da habe ich nur die Plastikflaschen weggebracht“, sagt der 56-Jährige. Die werden von der Konkurrenz gerne mal rausgeklaut – gerade an solchen Tagen. „Es war tote Hose“, sagt Öhler. Acht Euro spuckte der Automat im Kaufland aus – ein unterirdischer Betrag für einen ganzen Tag, an dem er sich die Beine in den Bauch gestanden hat. Das ist das Risiko für einen freischaffenden Flaschensammler. Am Freitag zum Auftakt sei es besser gewesen. „Da hatten wir 200 Euro.“ Ein Freund gehört noch zum Unternehmen. Manchmal stehen sie gemeinsam da, manchmal lösen sie sich ab. Am Ende wird alles geteilt.

Einen Stammplatz hat jeder, der hier Flaschen sammelt, eine Stammplatzgarantie keiner. Das gilt auch für Öhler, obwohl er schon sechs Jahre dabei ist: beim Wasen, beim Frühlingsfest, bei den Heimspielen des VfB. Da fehlt er jetzt allerdings. „Man kann ja nicht überall sein.“

Die Einkaufswagen werden um die Ecke gebunkert. Am Mittag geht Öhler ins Hofbräu-Zelt von Sonja Merz, isst ein halbes Hähnchen und trinkt zwei kleine Bier. Einmal sei er auch über das Festgelände gelaufen. „Ganz schön“, sagt er. Seit April sei er arbeitslos, aber sein alter Chef engagiere ihn ab und zu noch zum Rasenmähen. Von ihm hat er ein paar Verzehrgutscheine.

Länger als bis halb zehn am Abend bleibe er aber selten. Dadurch verpasst er den großen Moment, wenn die Polizei nach Festende den Platz freigibt. Dann stürmen die verbliebenen Flaschensammler zu den Ausgängen, um dort noch mitzunehmen, was die Security eingesammelt und stehen gelassen hat. Aber dabei geht es Öhler zu hoch her. „Das ist mir zu gefährlich.“ Und Kaufland hat dann auch schon zu.

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Erstellt:
1. Oktober 2023, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
2. Oktober 2023, 21:58 Uhr

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