Weltkulturerbe verpflichtet
Damit Venedig nicht untergeht, muss die Politik strenge Maßnahmen ergreifen.
Von Eidos Import
Venedig steckt in einem Dilemma. Das Unesco-Welterbekomitee tagt bei seiner Konferenz in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad vom 10. bis 25. September und berät nicht nur über die Aufnahme neuer Stätten in die Welterbeliste, sondern auch darüber, wie das Menschheitserbe besser geschützt werden kann.
Dann wird auch entschieden, ob die Lagunenstadt als „besonders gefährdet“ eingestuft werden soll. Experten der Sonderorganisation der Vereinten Nationen empfehlen dies wegen einer „anhaltenden Verschlechterung durch menschliches Eingreifen“, durch die irreversible Veränderungen drohten. Die Probleme seien in der italienischen Stadt seit Jahren bekannt.
Schon 2021 ist Venedig dieser Roten Karte nur knapp entgangen, da die Stadt kurzfristig den Kreuzfahrtschiffen ab einer gewissen Größe verbot, Markusplatz und Altstadt direkt anzusteuern. Seither müssen sie am Industriehafen vor Anker gehen, der einige Kilometer entfernt liegt.
Schon damals hatten Kritiker bemängelt, dies seien nur kosmetische Eingriffe, da die riesigen Schiffe ja dennoch in der Lagune unterwegs seien. Die Bemühungen des Bürgermeisters und aller beteiligter Akteure waren offensichtlich nicht ausreichend, um die Weltkulturerbestätte vor Übertourismus, Bauwahn und den Folgen des Klimawandels zu schützen. Der Meeresspiegel jedenfalls steigt weiter, die heftigen Unwetter, Dürren, Überschwemmungen nehmen zu. Erst jüngst war die Lagune ausgetrocknet, und die winterlichen Überschwemmungen kennt man seit Langem. Das Salzwasser nagt an den alten Gebäuden und bedroht sie in ihrer Substanz. Durch Gebäudeaufstockungen – so will man noch mehr Touristen beherbergen – werden architektonische Preziosen zusätzlich gefährdet.
Gerade weil die Liste der sehenswerten Bauwerke unendlich lang ist, wurden Venedig und die Lagune 1987 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Einerseits ist so ein Status ein hervorragendes Marketinginstrument, um Touristen zu locken. In Karthago etwa wurden 1979 durch den Weltkulturerbestatus die Ausgrabungsstätte und die antiken Ruinen gerettet, heute ist die Stadt eine Attraktion nicht nur für Hobbyhistoriker. Kaum ein Pauschalurlauber in Tunesien, der nicht bei 30 Grad Celsius über das Gelände marschiert und die Überreste der Antonius-Pius-Therme bestaunt hätte.
Andererseits gehen mit der Auszeichnung auch Verpflichtungen einher. Die alten Gemäuer in der Lagunenstadt müssen gepflegt und erhalten werden – und das kostet zunächst einmal viel Geld, bietet aber langfristig gute Geschäfte. Denn wenn ein Denkmal erst einmal zerstört ist, kommen auch keine Touristen mehr. Die Methode „Schauen wir mal“ ist deshalb hochgefährlich – so verständlich die Versuche der Politiker sein mögen, Interessen auszugleichen und nicht zu drastische Maßnahmen zu ergreifen, um die Tourismuslobby und Bürger nicht zu verärgern, die ihre Wohnungen und Häuser als Unterkünfte anbieten. Sachte, kompensatorische Eingriffe werden aber vermutlich in Venedig nicht zum Erfolg führen.
Man kann jetzt bereits sehen, was der menschengemachte Klimawandel und die Profitgier anrichten. Venedig ist längst ein Mahnmal, von Zerstörung bedroht. Wenn der oft wiederkehrende Mahnruf „Venedig stirbt“ ernst genommen wird, sind radikale Maßnahmen vonnöten, müssen die Touristenströme kontingentiert, muss der Bauwahn gestoppt werden, auch wenn das einen Eingriff in die Souveränität der Stadt darstellt. Ansonsten bleibt nur eines: schreckensgebannt zuzusehen, wie die Stadt untergeht – und das möglicherweise früher als gedacht.