Sarah Kuttner: „Mama & Sam“
Wenn die eigene Mutter einem Love Scammer zum Opfer fällt
Sarah Kuttner beleuchtet in "Mama & Sam" das Phänomen des Love Scammings: Ihre Mutter fiel einem Betrüger zum Opfer. Wie konnte das passieren?
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Sarah Kuttner verarbeitet in ihrem Buch persönliche Erfahrungen.
Von Lukas Jenkner
„Auf Liebesbetrüger hereingefallen und 100.000 Euro überwiesen“ – Es sind Schlagzeilen wie diese, die von den meisten Menschen beim Lesen eher belustigt zur Kenntnis genommen werden, um dann weiterzuscrollen oder zu -blättern. Das so genannte „Love Scamming“ ist ein im Internet verbreitetes Phänomen: Trickbetrüger, die oft in Afrika oder Asien sitzen, umgarnen auf digitalen Kanälen arglose Menschen mit einer erfundenen Liebe, die früher oder später in Geldforderungen mündet, die schnell Zehntausende Euro betragen können.
Wer fällt denn auf sowas herein, möchte man fragen. Die Autorin und Moderatorin Sarah Kuttner musste leidvoll erfahren und erleben: Zum Beispiel die eigene Mutter. Wie viel Geld die Mutter verloren hatte am Ende, lässt Kuttner offen. Die Mutter im Buch, die letztlich nur beispielhaft für alle Opfer des Love Scamming steht, zahlte über 100.000 Euro. Was sie im Laufe der Monate ansonsten erleben musste mit ihrer Mutter und „Sam“, hat Sarah Kuttner, die vor vielen Jahren einmal als Popnudel auf dem Musikkanal Viva angefangen hat, nun in dem Buch „Mama & Sam“ verarbeitet, das aus vielerlei Gründen lesenswert ist.
Die Mutter fällt auf falschen Sam Heughan herein
Was passiert in „Mama & Sam“? Über die sozialen Medien gerät eine Mutter an einen Mann, der vorgibt, Sam Heughan, der Hauptdarsteller der erfolgreichen Serie Outlander, zu sein. Über Wochen und Monate baut sich über Chat-Nachrichten nach und nach ein Verhältnis auf, das die Mutter als Liebesbeziehung wahrnimmt. Zunächst bekommt die Schwester der Mutter spitz, was da passiert, wird allerdings zum Schweigen verdonnert.
Als endlich die Tochter eingeweiht wird, ist es bereit zu spät – die Mutter ist für vernünftige Argumente nicht mehr erreichbar. Stattdessen klappert sie Kioske und Geschäfte in ihrer Umgebung ab, um Apple-Guthabenkarten zu kaufen. Die darauf befindlichen Codes schickt sie „Sam“ , der das Guthaben einlöst. Auf 104.000 Euro summiert sich am Ende das Geld, das die Mutter ausgibt.
Hunderte solcher Karten werden es am Ende also sein. Das ganze Ausmaß realisiert die Tochter allerdings erst, als sie ihre Mutter tot in deren Wohnung auffindet. Sie muss den Nachlass und die Beisetzung ordnen und schlägt schließlich das Erbe aus, zu groß ist die Gefahr, dass sie sich einen Haufen Schulden einhandelt – zu Recht, wie sich schließlich herausstellt.
Authentische Chats enthüllen die Tücken des Love Scammings
Einen großen Teil des Buches „Mama & Sam“ nehmen die Chat-Nachrichten ein, welche die Mutter und Sam über die Monate austauschen. Sie sind authentisch, wie die Autorin Sarah Kuttner in Interviews betont. Sie habe beschreiben wollen, wie ein solches Love Scamming im Detail abläuft, auf welche Probleme und Widerstände Freunde und Angehörige stoßen und welche Möglichkeiten sie haben, vielleicht doch noch etwas zu bewegen. Ansonsten lässt Kuttner offen, wie viel von ihrem eigenen Schicksal mit ihrer Mutter im Buch steckt. Es ist letztlich auch unerheblich – es geht um das Phänomen des Love Scammings.
Entlang des Schicksals der Mutter verhandelt Sarah Kuttner außerdem eine ganze Reihe Themen zwischen den Generationen: Was haben Kinder und Eltern für Erwartungen voneinander? Wie sehr sollten sich Angehörige einmischen ins Leben anderer? Wollen wir wissen, was uns per Abstammung nahe stehende Menschen tatsächlich über uns denken? Wie schmerzhaft ist es, zurückzubleiben, wenn ein Mensch stirbt, und wie geht man um mit der ungewollten Intimität des Nachlasses?
Am Ende eine schmerzhafte Erklärung für den Erfolg des Love Scammings
Kuttner verpackt die emotional aufgeladenen Themen des Miteinanders der Generationen in ihre gewohnt lockere, bisweilen schnoddrige, aber immer authentische und lebendige Sprache. Wer sich fürs Thema interessiert und „Mama & Sam“ in die Hand nimmt, wird es so schnell nicht mehr aus der Hand legen. Und letztlich wartet Kuttner mit einer ebenso ernüchternden wie schmerzenden Erklärung auf, warum Love Scammer immer wieder Erfolg haben – die an dieser Stelle aber natürlich nicht verraten werden soll.
Sarah Kuttner: Mama & Sam. Roman. Fischer Verlag München 2025, 286 Seiten, 24 Euro.
