Wieder nichts geahnt?
Die Stadtverwaltung in Stuttgart hat den Streit zwischen Eritreern nicht ernst genug genommen.
Von Eidos Import
Sollten Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) und sein Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) geglaubt haben, die republikweite Empörung über die langen Warteschlangen vor der Ausländerbehörde seien aktuell ihr größtes Problem, sind sie am vergangenen Wochenende eines Besseren belehrt worden.
Es geht immer noch schlimmer: schon am Karsamstag vor zwei Jahren hatten sie wegen einer nicht verhinderten und völlig aus dem Ruder gelaufenen Demonstration von Coronaleugnern gemeinsam mit der Polizei dafür gesorgt, dass man sich für Stuttgart fremdschämen musste.
Nun stellt sich die Frage, warum es mit deutlicher Ansage zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen mehr als 200 Menschen aus Eritrea und einem anfangs viel zu geringen Polizeiaufgebot am Rande einer Veranstaltung im Römerkastell in Bad Cannstatt kommen konnte.
Damals hatten die Rathaus-Neulinge im Vorfeld die Sachlage völlig falsch eingeschätzt und auf wirksame Maßnahmen zur Eindämmung verzichtet. Ob ihre aktuellen Beteuerungen, die Ausschreitungen mit zahlreichen Verletzten seien weder vorhersehbar noch zu verhindern gewesen, stimmen – oder ob bald wieder Entschuldigungen folgen müssen, wird sich hoffentlich schnell weisen. Aufklärung wird von allen Seiten gefordert.
OB Nopper verweist wie damals in der „Causa Ballweg“ auf die strengen Vorgaben des Versammlungsrechts, das Verbote nur aus triftigem Grund vorsieht – das Bundesinnenministerin nennt etwa eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen sind Verbote sogar noch schwerer durchzusetzen, weil die Räume besser kontrollierbar sind. Gefahr in Verzug war in Coronazeiten gegeben. Für Versammlungen ohne jegliche Außenwirkung von Eritreern, die seit Jahrzehnten in Stuttgart leben, anzunehmen, dass „aus dieser Veranstaltung heraus keine Straftaten begangen werden“ ist völlig korrekt, zumal es auch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Landesamts für Verfassungsschutz gibt. Es ist aber unstrittig, dass nach den Krawallen von Gießen, wo derselbe Veranstalter aktiv war, in Stuttgart die Alarmglocken hätten schrillen und ausreichend Polizei hätte aufgeboten werden müssen. Gerade, weil sich die Gewalt gegen Teilnehmer richtet, die der Kollaboration mit der Diktatur in der Heimat bezichtigt werden.
Die Stadtverwaltung kann auf jeden Fall nicht behaupten, sie wäre vor dem schwelenden Konflikt nicht gewarnt worden. Demonstrationen von Regimegegnern vor den regelmäßig angemieteten Schulturnhallen – und als Reaktion Provokationen von Festivalteilnehmern gibt es seit Jahren. Die dem Regime kritisch gegenüberstehende Organisation United4Eritrea, die häufig auf der Königstraße friedlich protestiert, versucht seit langem auf die Besonderheiten der politischen Auseinandersetzung in der Diaspora hinzuweisen. Bisher hat sie es nicht geschafft, die Stadtverwaltung für einen kritischen Umgang mit dem Zentralrat der Eritreer in Deutschland zu sensibilisieren.
Was friedlicher Protest nicht schafft, haben nun die überwiegend von außen angereisten Krawallmacher erreicht: Auf Antrag des Linksbündnisses und der CDU muss sich die Stadtverwaltung nun nicht nur mit der Ausrichtung der Eritreervereine beschäftigen, sondern die Frage beantworten, an wen sie ihre Räume vermietet und wen sie finanziell unterstützt. Die Stadt wird so gezwungen, den Umgang mit allen Organisationen zu prüfen, die unter dem Vorwand, ihre Kultur zu pflegen, undemokratische Regime unterstützen.