Zwischen Verständnis und Beklemmung

Künstler machen sich Gedanken über den Plan B und die Kultur in Zeiten nach der Coronakrise

So wie wir es gewohnt sind, läuft die öffentliche Kultur in der nächsten Zeit nicht mehr ab. Wenn jetzt beispielsweise Musiker mitunter zu Konzerten einladen, die via Internet von zu Hause auszu erleben sind, darf dies nicht über die schwierige Situation der ganzen Branche hinwegtäuschen. Die Künstler machen sich zudem Gedanken über die Kultur in Zeiten nach Corona.

Zwischen Verständnis und Beklemmung

Rainer Roos bereitet sich auf „die hoffentlich anstehende Sommersaison vor“. Auch die Schlossfestspiele Zwingenberg, deren Intendant er ist, sind viel stärker vom Kartenverkauf abhängig als die weitaus höher subventionierten Staatstheater. „Ich richte Partituren und Orchestermaterial ein, plane Produktionen, schreibe und entwickle Galaprogramme.“ Foto: privat

Von Ingrid Knack

BACKNANG. „Mich selbst trifft die jetzige Sache noch nicht so hart, da wir mit den Rhythmus Boys im Dezember eine recht große Tour hatten. Zurzeit erarbeiten wir ein neues Programm, das Ende Juni/Anfang Juli in einer kleinen Runde vorgestellt werden soll“, sagt Ulrich Mayer aus Backnang, ehemals Redakteur der Murrhardter Zeitung und seit 1995 Gitarrist von Ulrich Tukurs Band. Die größeren Konzerte der Rhythmus Boys stehen erst im September an. „Ich hoffe, dass die Sache dann ausgestanden ist.“

Sänger und Bandleader Günter Deyhle (Gitze) aus Spiegelberg-Großhöchberg zeigt sich ebenfalls relativ entspannt, was aber vor allem mit seiner allgemeinen Lebenseinstellung zu tun hat: „Ich nehme es, wie’s kommt. Es geht irgendwie weiter. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass die Menschen irgendwas begreifen.“

Bariton Jürgen Deppert aus Backnang erklärt: „Mindestens ebenso schwerwiegend neben den Absagen ist das Ausbleiben von neuen Anfragen, Aufträgen und Engagements.“ Psychologisch betrachtet sei die Situation nicht erbaulich. Das Selbstwertgefühl lebe bei Künstlern von Nachfrage, Anerkennung, Wertschätzung und Applaus. Glücklicherweise sei er existenziell nicht bedroht. Sollte die schwierige Situation länger als ein halbes Jahr andauern, gelte es aber, sich anderweitig und grundsätzlich Gedanken zu machen. Ob „die Politik“ es schaffe, auch selbstständige und freiberufliche Künstler auf irgendeine Art und Weise zu unterstützen oder zu entschädigen, wagt er noch zu bezweifeln. Überhaupt nicht absehbar sei es, was es mit einer Gesellschaft mache, wenn ihr für eine gewisse Zeit das kulturelle (Er-)Leben mehr oder weniger komplett entzogen werde.

Dirigent und Intendant (Schlossfestspiele Zwingenberg) Rainer Roos, der im Backnanger Raum aufgewachsen ist, meint: „Oberste Priorität hat natürlich die Gesundheit unseres Publikums sowie aller Menschen, insofern betrachte ich den gegenwärtig eingeleiteten Stillstand als alternativlos. Da wir freiberuflichen Künstler jedoch weder über eine Arbeitslosenversicherung verfügen noch uns Kurzarbeitergeld zusteht, stehen wir unvermittelt ohne Einkommen da. Die selbst ums Überleben kämpfenden Veranstalter werden höhere Gewalt geltend machen, um schadlos von allen Verträgen zurücktreten zu können. Ausfallversicherungen sind für die klassischen Veranstalter viel zu teuer und würden einen unzumutbaren Aufschlag auf die Ticketpreise bedeuten.“ Roos zeigt sich skeptisch, dass der Staat dies alles abfängt. Die, die sich mit Leidenschaft für die Kultur in den Regionen einsetzten, seien die Landräte, Bürgermeister und Kulturamtsleiter. Auch einzelne Firmen, Banken und Klubs wie Lions und Rotarier. „Gemeinsam mit ihnen müssen wir nun versuchen, unsere deutsche Kulturlandschaft für die Menschen zu erhalten.“ Roos, der beispielsweise mit der Wiener Strauss-Capelle weltweit unterwegs ist, gibt noch zu bedenken: „Wir Künstler sind wichtige Völkerverständiger. Ich würde mir wünschen, dass dies in der Landes- und Bundespolitik mehr wahrgenommen werden würde.“

Der Schauspieler, Komiker und Clown Sebastian Scheuthle hätte Anfang April seine „Stand up Krise“ auf der kleinen Bühne im Bandhaus in Backnang spielen sollen. Er beteuert: „Zunächst einmal sollten wir nicht in Panik geraten, sondern mit Vernunft und Verstand die Situation analysieren. Es ist das erste Mal, dass wir einer Situation ausgesetzt sind, die mit uns Menschen direkt zu tun hat. Ich erinnere mich noch genau an den 11. September in Backnang. Damals war ich auf der Schule meines Vaters. Es hieß: ,Jetzt haben wir alle ausgelacht.‘ Die Frage sei gewesen: ,Ist es in dieser Situation moralisch vertretbar, ins Lachtheater zu gehen?‘“ Der Unterschied zu heute war damals nach den Worten des Kleinkünstlers, „dass die Gesellschaft sich begegnen durfte. In der heutigen Situation ist es viel schlimmer. Die Menschen sollen sich jetzt nicht mehr begegnen.“ Daher müsse er sich als Künstler andere Fragen stellen. „Was kann ich tun? Was kann ich, außer komisch zu sein? Ich muss nach anderen Möglichkeiten suchen, um meine Kinder, meine Familie zu ernähren. Muss ich mich an jemanden wenden, der meine Kunst schätzt und bereit ist, zu helfen, weil er die Mittel dazu hat, dem es wichtig ist, dass meine Kunst weiter in der Zukunft für die Menschen zugänglich ist? Das Kultusministerium, der Staat, die Wirtschaft, private Unterstützer?“

Und wie sieht es bei den ganz Großen aus? Bergrecords-Geschäftsführer Philipp Mergenthaler lässt zu den Konzertabsagen von Andrea Berg wissen: „Grundsätzlich sind das vertragliche Themen, die den Tourveranstalter betreffen. Der Tourveranstalter der ,Mosaik – Live Arena Tour‘ ist die Global Event&Entertainment Group. Aber völlig klar ist, dass es im Veranstaltungsbusiness wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen derzeit enorme Einbußen gibt und geben wird. Gemeinsam mit unserem Tourveranstalter arbeiten wir derzeit schon mit Hochdruck an neuen möglichen Terminen, bei denen die nun abgesagten Konzerte in den entsprechenden Städten nachgeholt werden können.“ Andrea Berg sagt: „Auch die Konzerte in Hannover, Schwerin und Leipzig wurden behördlich abgesagt. Für mich aufgrund der aktuellen Lage eine absolut richtige Entscheidung, denn Gesundheit muss immer vorgehen.“ Berg appelliert an die Solidarität der Menschen und zeigt sich optimistisch: „Unsere gemeinsame Mosaik-Reise ist noch nicht zu Ende, ich bin mir sicher, dass wir uns bald wiedersehen. Bleibt gesund.“