Charlotte Fry gegen Jessica von Bredow-Werndl

Ein Dressur-Duell elektrisiert die Reit-Welt

Bei der Dressur-EM in Riesenbeck steht das Duell von Doppel-Weltmeisterin Charlotte Fry und Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl an diesem Donnerstag im Mittelpunkt. Es ist eine Geschichte, die Hollywood nicht hätte besser erfinden können.

Charlotte Fry (links) und Jessica von Bredow-Werndl sind die zwei derzeit besten Dressurreiterinnen der Welt.

© imago/PA Images, Stefan Lafrentz

Charlotte Fry (links) und Jessica von Bredow-Werndl sind die zwei derzeit besten Dressurreiterinnen der Welt.

Von Thomas Borgmann

Hollywood-Regisseure hätten es nicht besser inszenieren können: Eine Olympiasiegerin, 37 Jahre alt, und eine Doppel-Weltmeisterin, 27 Jahre jung, treffen in einem Sandviereck von 60 mal 40 Metern aufeinander. Die eine heißt Jessica und reitet eine 16-jährige Trakehner Stute namens Dalera, die andere heißt Charlotte, wird von ihren Fans „Littie“ genannt, und reitet einen zwölfjährigen Hengst namens Glamourdale. Der kann fast nicht laufen vor lauter Imponiergehabe. Die kluge Stute aber zeigt ihm ihre kalte Schulter. Fehlte nur noch der unvermeidliche Zickenkrieg.

Direktes Duell um den Mannschaftstitel

Bereits an dieser Stelle ist Schluss mit der seifigen Edelschnulze à la Hollywood – die sportlich anspruchsvolle Konstellation sieht aktuell so aus: Bei der 31. EM der Dressurreiter im Pferdezentrum von Riesenbeck, unweit von Münster in Westfalen, treten in diesen Tagen 70 Aktive aus 22 Nationen an. Es geht um eine Mannschafts-EM, die heute gegen Abend (Donnerstag) entschieden wird, um den EM-Einzeltitel im Grand Prix Spezial am Freitag (also der klassischen Tour) sowie um den EM-Einzeltitel in der Kür am Sonntag. Titelverteidiger im Team ist die deutsche Equipe, geführt von Monica Theodorescu, Titelverteidigerin in der Kür sowie in der klassischen Tour ist Jessica von Bredow-Werndl.

Aber das alles gerät völlig in den Hintergrund, niemand interessiert sich heute für die Titel und/oder Medaillen vergangener Tage. Diese EM, deren Gastgeber Ludger Beerbaum heißt, gerade sechzig geworden, erfolgreichster Springreiter der Welt, kennt nur ein einziges Thema – die Frage lautet: Jessica oder Charlotte? Dalera oder Glamourdale? Stute oder Hengst?

Genauer gesagt: In knapp einem Jahr geht’s vor dem weltberühmten Schloss von Versailles bei Paris um Olympisches Gold. Erste Anwärterinnen sind die beiden genannten Damen. Sie selbst, ihre Trainer und ihre Berater, ihr persönliches Umfeld fiebern diesem August 2024 entgegen. Da kommt ihnen die EM auf Beerbaums riesigem Reiterzentrum, welches zur „Global Equestrian Group“ gehört, gerade recht: Die Ausgangslage für Paris ist der alles entscheidende Punkt. Die Britin Charlotte Fry hat vor einem Jahr bei der WM im dänischen Herning beide Einzeltitel gewonnen. Jessica von Bredow-Werndl brachte zu dieser Zeit ihr zweites Kind zur Welt, konnte nicht antreten. 2021 allerdings, bei den Spielen von Tokio, triumphierte Jessica mit Dalera, Charlotte Fry wurde auf Hengst Everdale 13.

Keine verbalen Scharmützel

Wer jedoch glaubt, der Zweikampf dieser beiden Frauen werde mit verbalen Mitteln ausgetragen, wird enttäuscht. Die Frage, wer nach Olympia in einem Jahr die neue Dressurkönigin sein könnte, um die lange Jahre als unschlagbar geltende Isabell Werth abzulösen – sie bleibt vorerst unbeantwortet. Jessica von Bredow-Werndl umschreibt ihre Linie gerne etwas pathetisch: „Dalera ist ein wunderbares Pferd. Sie kämpft ständig für mich. Es ist für mich ein Privileg, dieses Traumpferd reiten zu dürfen.“ Ihre Trakehner Stute gehört der schwerreichen Schweizerin Beatrice Büchler-Keller, früher selbst international im Sattel.

Charlotte Fry formuliert es ähnlich: „Für mich ist es eine große Ehre, dass ich Glamourdale reiten darf. Er hat sich seit der WM 2022 weiter verbessert.“ Der Hengst gehört der niederländischen Pferdezüchterin Anne von Olst, früher selbst im Dressursattel international am Start. Entdeckt wurde Charlotte „Littie“ Fry übrigens vom britischen Meistertrainer Carl Hester, der Charlotte Dujardin mit Valegro zu Olympiagold geführt hatte. 2014 schickte Hester die blutjunge Charlotte Fry zu Anne van Olst. 2012 war Frys Mutter Laura gestorben: Sie hatte 1992 in Barcelona für Großbritannien den 29. Rang in der Dressur belegt.

An diesem Donnerstag um 15.57 Uhr muss Dalera aufs EM-Viereck, kurz darauf um 16.15 Uhr folgt Glamourdale. Danach ist die Mannschafts-EM entschieden. Die Einzelmedaillen werden am Freitag und Sonntag vergeben. Danach müssten sich die Regisseure aus Hollywood eine neue Geschichte ausdenken. Paris kommt ganz bestimmt.

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Erstellt:
6. September 2023, 12:48 Uhr

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