Star im alpinen Skiweltcup
Mikaela Shiffrin – Allein auf dem Ski-Thron
Am Freitag hat sie Ingemar Stenmark eingeholt, am Samstag überholt. Mikael Shiffrin hat nun 87 Siege im alpinen Ski-Weltcup auf ihrem Konto. Was macht die US-Amerikanerin so einzigartig?

© imago//Harald Steiner
Mikaela Shiffrin ist die unangefochtene Königin des gesamten Alpinzirkus.
Von Dirk Preiß und Andreas Haslauer
Die Frage nach dem Ob war schon lange keine mehr. Es ging nur noch um das Wann. Nun ist auch diese Frage beantwortet, und die Sporthistoriker können folgendes Datum in die Geschichtsbücher eintragen: 11. März 2023.
Es ist der Tag, an dem der große Ingemar Stenmark nicht länger an der Spitze steht auf der Liste jener in der alpinen Skiwelt, die am meisten Siege im Weltcup gesammelt haben. Der Schwede hat 86-mal gewonnen – Mikaela Shiffrin am Samstag beim Slalom von Are zum 87. Mal. Ausgerechnet in Schweden also hat die US-Amerikanerin Stenmark übertrumpft. Ein Problem? Kein Problem – zumindest nicht für den bisherigen Rekordhalter, der schon am Freitag, als Shiffrin seinen Rekord egalisiert hatte, sagte: „Ich freue mich für sie. Es ist wirklich verdient.“
Es gibt nicht viele, die etwas anderes behaupten. Wie könnte man auch? 246 Weltcuprennen hat Mikaela Shiffrin bestritten, seit sie vor genau zwölf Jahren ihr Debüt feierte in der ersten Liga des Skisports. In dieser Zeit hat sie nicht nur diese 87 Siege errungen – den ersten davon übrigens ebenfalls in Are –, sondern sie stand auch fast 150-mal auf dem Podium. Mit 14 WM-Medaillen (davon sieben Titel) ist sie die erfolgreichste Skirennläuferin bei Weltmeisterschaften in der Nachkriegszeit. Fünfmal holte sie den Gesamtweltcup, zweimal wurde sie Olympiasiegerin (2014 und 2018). Gewonnen hat sie in sämtlichen Disziplinen.
Vielseitiger als einst Ingemar Stenmark
Mikaela Shiffrin, so scheint es seit Jahren, kann alles. Und früh gingen Experten und Konkurrentinnen die Superlative aus, um zu beschreiben, was die Ausnahmeathletin, die an diesem Montag 28 Jahre alt wird, leistet. Weil diese sich nie auf ihr Talent verlassen hat. Ganz im Gegenteil.
„Mikaela trainierte von klein auf hohe Umfänge, was sie auch heute noch macht“, sagt Patrick Riml, der Alpindirektor des US-amerikanischen Skiverbands – und nennt ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. Shiffrin hatte gerade Lindsey Vonn (82 Siege) eingeholt. Sie hatte zwei Rennen in Folge gewonnen. „Und was machte sie danach?“, fragt Riml – und antwortet selbst: „Sie stand morgens als Erste am Hang und trainierte.“ Wie „eine Besessene“ übe Shiffrin, der der Verband schon in jungen Jahren ein eigenes Betreuerteam zur Verfügung stellte.
Neben ihrer Fähigkeit, zentral auf dem Ski zu stehen und somit eine ungewöhnlich starke Kontrolle zu haben (das macht sie weniger anfällig für Stürze und Verletzungen), ist ihr innerer Antrieb der große Pluspunkt auf der Habenseite des US-Girls. Und trotz all der Erfolge gleicht ihre Karriere nicht einem Dauerhoch. Vor allem zwei schwierige Phasen musste sie durchschreiten.
Schicksalsschlag und sportlicher Tiefpunkt
Als am 2. Februar 2020 ihr Vater Jeff überraschend nach einem Unfall im eigenen Haus verstorben war, brach Shiffrin die Saison ab und reiste nach Hause. Spekuliert wurde, ob sie überhaupt in den Skizirkus zurückkehren würde. Sie tat es, begleitet von ihrer Mutter Eileen, hatte von ihrer Souveränität aber etwas eingebüßt. Doch die Erfolge kehrten zurück – bis zu den Olympischen Spielen 2022 in Peking. Sechs Medaillen waren möglich, keine einzige gewann sie, schied in ihren besten Disziplinen sogar früh aus. Die Spiele waren eine einzige Enttäuschung, Und auch ein Karriereknick, wie schon manche unkten? Von wegen.
Mittlerweile verarbeitet sie Rückschläge auch im Zusammenspiel mit ihrem Freund Aleksander Aamodt Kilde. Das Kraftpaket aus Norwegen ist Abfahrtsspezialist und hat in seiner Karriere bislang 21 Weltcuprennen und zuletzt zwei Silbermedaillen bei der WM gewonnen. „Sie trainieren zusammen, sie pushen sich, geben sich Tipps und Halt“, sagt Riml. „Mikaela ist die Weltbeste, agiert aber wie eine, die nicht einmal in der Nähe der Weltspitze ist“, lobt auch Kilde die Akribie seiner Partnerin. Er ergänzt: „Sie sucht immer nach Dingen, die sie verbessern kann. Sie hat wahnsinnig hohe Ansprüche an sich.“
Im laufenden Winter hat sie diese erfüllt und schon zwei kleine sowie die große Kristallkugel sicher. Der Status als Star ist zementiert, als Teamplayer präsentiert sie sich dennoch, wenn sie im Ziel innig mit Teamkolleginnen feiert oder mit der Konkurrenz scherzt. Dabei ist sie den meisten von ihnen nicht nur sportlich weit voraus.
Lukrative Siegesserie
Shiffrins einzigartige Erfolge haben sie längst zur Spitzenverdienerin im Ski-Weltcup gemacht. Neben den Preisgeldern spülen seit Jahren lukrative Werbeverträge Geld in die Familienkasse. Das Forbes-Magazin schrieb einst, Shiffrin könne im Laufe ihrer Karriere zwischen 30 und 50 Millionen Dollar verdienen. Ihr Management verantwortet der Österreicher Kilian Albrecht, ein ehemaliger Skirennfahrer.
Der kann sie nun noch besser vermarkten – als alleinige Rekordhalterin im alpinen Ski-Weltcup. Obwohl Shiffrin selbst lieber weiter aufblickt zu Ingemar Stenmark. „Er hat den Standard für uns alle gesetzt, für alle Generationen“, sagt sie, „er ist der Eine.“ Nun aber auch: der Erste hinter Mikaela Shiffrin.